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29 Anklagen wegen Madrider Anschlägen

Mord in 192 Fällen, versuchter Mord in 1.755 Fällen: Spanischer Untersuchungsrichter veröffentlicht Anklage gegen mutmaßliche Urheber der Bombenanschläge vom 11. März 2004 in Madrid. 80.000 Seiten Akten wurden gewälzt

MADRID taz ■ Die Anschläge vom 11. März 2004 in Madrid waren – wie die auf die Londoner U-Bahn am 7. Juli 2005 – von al-Qaida inspiriert, wurden aber von einer lokalen Gruppe in Eigenregie geplant und ausgeführt. Diese These vertritt der spanische Untersuchungsrichter Juan del Olmo, der gestern die Anklageschrift zu den Terrorakten veröffentlichte. Auf insgesamt 1.460 Seiten werden 29 Verdächtige beschuldigt, direkt oder indirekt an den Anschlägen auf Pendlerzüge beteiligt gewesen zu sein, bei denen 191 Menschen starben und knapp 2.000 zum Teil schwer verletzt wurden. Es war der schwerste Terroranschlag auf europäischem Boden.

Unter den Beschuldigten befinden sich neun Spanier. Beim Rest handelt es sich um Einwanderer aus muslimischen Ländern. Sechs der Angeklagten sind laut Del Olmo die Hauptverantwortlichen für die Attentate. Es handelt sich um den Spanier Emilio Suárez Trashorras, der den Sprengstoff aus einer nordspanischen Mine entwendete, sowie fünf Nordafrikaner. Unter ihnen befindet sich die Marokkaner Jamal Zougam und Abdelmajid Bouchar, die einzigen noch lebenden Mitglieder der Gruppe, die die Bomben in den vier Zügen deponiert haben soll. Suarez wird des Mordes in 192 Fällen angeklagt, die anderen fünf des Mordes in 191. Die restlichen 23 Angeklagten werden der Beihilfe in unterschiedlichem Ausmaße angeklagt, bis hin zu versuchtem Mord in 1.755 Fällen. Vier von ihnen werden bis zum Prozess gegen 25.000 bis 50.000 Euro Kaution auf freien Fuß gesetzt. Weitere sieben Männer, die die Bomben-Rücksäcke in den Zügen hinterließen, sprengten sich drei Wochen nach den Anschlägen in einer Wohnung in einem Madrider Vorort in die Luft.

Die Idee zu den Bombenanschlägen sollen die Angeklagten einer Internet-Seite entnommen haben. Dort veröffentlichte eine Gruppe namens „Die Weisen von al-Qaida“ einen Text, in dem ausführlich über die möglichen Auswirkungen eines Anschlags kurz vor den spanischen Parlamentswahlen eingegangen wurde. Die Bomben in den Zügen explodierten drei Tage vor dem Urnengang. Die Konservativen, die Truppen in den Irak geschickt hatten, verloren, wie von den „Weisen“ vorausgesagt. Die Bombenleger „bezogen ihre Inspiration von einer Website, die örtliche Islamisten zu Anschlägen in Spanien vor den Parlamentswahlen 2004 aufrief, um Spanien zum Rückzug seiner Truppen aus dem Irak zu veranlassen“, sagte eine Gerichtssprecherin.

Richter Del Olmo kommt zu dem Schluss, dass die baskische ETA mit den Attentaten nichts zu tun hat. Die konservative Opposition hat die „baskische Spur“ mit Hilfe eines Teiles der spanischen Presse immer wieder zu belegen versucht, um damit die Regierung Aznar im Nachhinein vom Vorwurf der Lüge reinzuwaschen. Aznar hatte unter wahltaktischen Gründen versucht, die Urheberschaft für das Massaker von Madrid der ETA zuzuschreiben, um von der Beteiligung am Irakkrieg als Ursache abzulenken. Der Versuch scheiterte. Die Wähler straften die Konservativen für diese Lüge ab und wählten den Sozialisten José Luis Zapatero an die Macht.

Mit dem eigentlichen Gerichtsverfahren ist vor Herbst nicht zu rechnen, vielleicht erst nächstes Jahr. Es verspricht ein Mammutprozess zu werden. Die Ermittlungen dauerten 25 Monate. 200 Aktenbände mit insgesamt 80.000 Seiten trug Richter Del Olmo zusammen. 40 Zeugen wurden unter Wahrung ihrer Anonymität befragt. 46-mal wurden mehrere Angeklagte zeitgleich vernommen, um zu sehen, ob sie sich in Widersprüche verstricken. 30 Gegenüberstellungen waren nötig, um einzelne Tatverdächtige zu identifizieren. Außerdem stellte der Untersuchungsrichter elf internationale Amtshilfegesuche. Mehrere der Angeklagten wurden im Ausland festgenommen. Gegen 87 Verdächtige erbrachten die Ermittlungen nichts. REINER WANDLER

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