: Pause für die Protestbewegung
Nach wochenlangen Streiks beginnt an Frankreichs Hochschulen wieder der Lehrbetrieb. Das Parlament kassiert den Erstarbeitsvertrag und besiegelt so die „Teilkapitulation“ der Regierung
AUS PARIS DOROTHEA HAHN
Zwei banale Ereignisse beendeten gestern in Frankreich eine spektakuläre soziale Bewegung: An vielen Universitäten begann erneut der Lehrbetrieb. Und am Nachmittag beerdigte das Parlament in Paris den Erstarbeitsvertrag (CPE). Die Abgeordneten ersetzten Artikel 8 des „Gesetzes über die Chancengleichheit“, der den Kündigungsschutz für junge Beschäftigte unter 26 Jahren de facto abschaffte, durch einen Eingliederungsanreiz für UnternehmerInnen. Wer künftig Jugendliche ohne oder mit geringer beruflicher Qualifikation unbefristet einstellt, bekommt eine Unterstützung.
Der Ersatz des CPE ist ein Erfolg der Bewegung, die an manchen Tagen bis zu drei Millionen Menschen auf die Straße gebracht hat. Die rechte Regierung hat in einem Punkt einen Rückzieher gemacht. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger. In allen anderen Punkten setzt sie ihre Politik fort. Sie hält an dem Gesetz fest, das den irreleitenden Namen „für die Chancengleichheit“ trägt und dafür sorgt, dass Kinder mit 14 Jahren in die Lehre und ab 15 sogar in die Nachtarbeit geschickt werden können. Sie hält an dem im vergangenen Sommer verabschiedeten „neuen Arbeitsvertrag“ (CNE) fest, der den Kündigungsschutz in Kleinbetrieben aushöhlt. Und sie verfolgt das erklärte Ziel, das Arbeitsrecht zu „flexibilisieren“. Denn das Dogma lautet: Nur durch eine Aushöhlung des Arbeitsrechtes kann der Standort Europa verteidigt werden.
Diese Logik hat die soziale Bewegung infrage gestellt. Das ist ihr größtes Verdienst und wird bleiben. Das erklärt auch die Reaktionen vieler PolitikerInnen und JournalistInnen auf die französische Bewegung. Und auf die angebliche „Kapitulation“ der Regierung in Paris. Diese MacherInnen haben verstanden, dass in den vergangenen Wochen mehr ins Wanken geraten ist, als ein französischer Regierungsstil, als eine angebliche französische Unfähigkeit zum Dialog und französische Institutionen.
Die Kritik, die jetzt aus Frankreich kommt, ist fortan eine ernst zu nehmende Konkurrenz für das neoliberale Einheitsdenken in Europa. Nebenbei erinnert sie die PolitikerInnen daran, dass ihre bescheidene Rolle darin besteht, „VolksvertreterInnen“ zu sein. Nicht umgekehrt.
Es ist auch eine neue Generation von AkteurInnen auf der politischen Bühne angekommen. Sie sind um die 20 und stammen aus einer Generation die als hedonistisch, individualistisch und unpolitisch verschrien war. Sie haben sich als das Gegenteil entpuppt. Und kritisieren implizit sogar die idealisierten StudentInnen vom dem Mai 68. Während jene, die heute Macht und Einfluss haben, für mehr individuelle Freiheiten kämpften, wollen sie kollektive Sicherheiten.
Ihr politisches Coming-out hatten die Jugendlichen im April 2002, als sie feststellten, dass ihre Landsleute einen Rechtsextremen zum zweitstärksten Mann beim Rennen um das höchste Amt gewählt hatten. Vier Jahre später sind sie die Ersten, die es schaffen, einen sozialen Rückschritt zu stoppen. Es gelang ihnen, weil die Mehrheit der Bevölkerung mit ihnen übereinstimmte und die Linke geschlossen hinter ihnen stand.
Vier Monate nachdem es in den Vorstädten brannte, sind diese Jugendlichen das Beste, was Frankreich passieren konnte. An die Stelle der (selbst-)zerstörerischen und verzweifelten Gewalt haben sie wieder das gesprochene Wort gesetzt. Die Politik.