: 15 Kilo Asche
BESTATTUNG Tote Pferde und Ponys müssen in Deutschland beseitigt werden, einäschern und bestatten ist nicht erlaubt. Das Ehepaar Gürtler hat aber einen Weg gefunden – und der führt über die Niederlande
VON CARSTEN BISPING
Ein Lastwagen fährt von Hof zu Hof, sammelt möglichst viele Tierkörper in kurzer Zeit ein und kippt dann alles in einen Schredder. In gleich große Blöcke geschnitten und bis zur Überhitzung gekocht werden die Überreste der Tierkörper. Dann werden sie weiterverarbeitet – zu Öl, Schmier- oder Futterstoff. Alles organisiert von der Tierkörperbeseitigung, kurz und kalt: TKB.
Als Marianne und Andreas Gürtler ihren Boxer-Labrador-Mischling Fritz einschläfern lassen mussten, wurde er auch von der TKB abgeholt. „Es war damals eine Ad-hoc-Entscheidung, denn es gab keine andere Möglichkeit“, sagt Andreas Gürtler. Niemand war bereit, einen 40 Kilogramm schweren Hund ins Erdreich einzulassen. „Das liegt uns heute noch schief auf der Seele, denn das hat ein so gutes Familienmitglied nicht verdient.“ Gürtler und seine Frau wollten es wieder gutmachen und anderen Tierbesitzern eine Alternative anbieten. Sie gründeten 1996 die erste Haustierbestattung in Deutschland: die Humania-Tierbestattung in Verl bei Bielefeld.
Bei der Bestattung von Haustieren ist es nicht geblieben. Es kamen immer mehr Anfragen von Pferdebesitzern, die ihre toten Tiere bestatten und sie nicht von der TKB abholen lassen wollten. „Das hat sich in den letzten Jahren extrem vermehrt“, sagt Andreas Gürtler. Genaue Zahlen möchte er aber nicht nennen. Jeder, der schon mal gesehen habe, wie eine Tierkörperbeseitigung aussieht, könne verstehen, warum die Nachfrage nach einem würdevolleren Abschied steige, sagt Gürtler.
Besonders groß ist die Nachfrage nach Pferdebestattungen in Niedersachsen. Hier leben circa 120.000 Pferde, das sind 85.000 mehr als beispielsweise in Brandenburg. 2011 stiegen die Gürtlers dann in die Pferdebestattung ein – bisher sind sie die einzigen in Deutschland.
Die Gürtlers sind Dienstleister, sie vermitteln zwischen den Besitzern der toten Pferde und Ponys und Tierkrematorien in den Niederlanden. Denn in Deutschland ist es verboten, Pferde einäschern zu lassen. Hier darf zwar alles vom Hamster bis zum 120 Kilogramm schweren Wolfshund oder einem Hängebauchschwein eingeäschert werden, und es gibt mittlerweile auch eigene Haustierkrematorien. Doch bei Pferden, Ponys und bei vielen anderen Huftieren sieht das nach wie vor anders aus.
Diese Tiere leben meist auf Bauernhöfen oder Gestüten, wo sich Seuchen schnell ausbreiten können. Und wegen der Seuchengefahr führt eigentlich kein Weg an der gängigen TKB-Praxis vorbei, die von den Veterinärämtern geregelt wird. Die Gürtlers haben aber einen Weg gefunden – und der führt über die Niederlande.
In den Niederlanden gibt es schon seit 1951 Tierkrematorien. Pferde und Ponys dürfen hier seit zehn Jahren eingeäschert werden. Mit ihnen arbeiten die Gürtlers zusammen – und das geht so: Stirbt ein Pferd, kann der Besitzer die Notruf-Bereitschaft der Humania-Tierbestattung anrufen. Eine Notfallakte wird angelegt, in der folgende und noch viel mehr Fragen beantwortet werden: Wie heißt das Pferd? Wo soll es abgeholt werden? Was passiert mit der Asche? Soll sie auf die hauseigene Wiese gestreut werden? Soll aus ihr ein Diamant gemacht werden? Die Gürtlers bieten Grabsteine, Urnen mit Foto darauf, 105 verschiedene Gedenkmedaillons oder ein 3-D-Laserfoto des toten Pferds an – als Erinnerung. Die Kosten fangen bei 1.000 Euro an – nach oben hin ist alles offen.
Ist die Akte erstellt, geht alles ganz schnell. Ein extra ausgestattetes Fahrzeug mit Trage kommt aus den Niederlanden, holt das Tier binnen 24 Stunden ab und überführt es ins Krematorium – und zwar „in Würde und Respekt“, wie Gürtler sagt. Diese beiden Begriffe fallen oft im Gespräch mit ihm.
Im Krematorium wird das tote Tier über Nacht im sogenannten Raum der Stille gekühlt und anschließend verbrannt. Fünf bis acht Stunden dauert die Einäscherung, das Abkühlen der Asche nochmal vier bis fünf Stunden.
Ein kleiner Identitäts-Stein mit eingravierter Nummer am Bein begleitet das Pferd auf seinem Weg durchs Krematorium und wird später der Asche und der Sterbeurkunde beigelegt. Nach maximal fünf Tagen ist die Asche des Tieres wieder beim Kunden – geschickt via UPS-Direktzustellung. Wem die Asche zu viel ist – die eines durchschnittlichen Pferdes wiegt immerhin bis zu 15 Kilogramm – kann sie auf der Streuwiese des niederländischen Krematoriums beisetzen lassen.
Die Nachbarn akzeptieren die Gürtlers mittlerweile. Als sie anfingen, wurden sie noch belächelt und skeptisch beäugt. An ihre Kunden ist aber schwer ranzukommen – zu viele Medienberichte hätten zu viel negative Aufmerksamkeit erregt, sagt Andreas Gürtler. Also erzählt er, was seine Kunden ihm sagen. „Viele riefen mich sogar an: Das ist keine Tierbestattung, sondern eine Geldverbrennungsanlage; ich würde wohl spinnen“, habe ihm eine Kundin einmal erzählt. „Aber ich stehe dazu. Dieses Tier hat mir mehr Glück und Verständnis gebracht, als es kaum ein Mensch je getan hat“, sagte ihm die Kundin. So sehen das laut Andreas Gürtler viele, die sich für eine Einäscherung ihrer Tiere entscheiden.
Etwas merkwürdig bleibt der Name „Humania“ für ein Tierbestattungsunternehmen – bedeutet human doch menschlich, moralisch gut, auf den Menschen bezogen. „In der Tierbestattung soll es humaner zugehen“, begründet er die Namenswahl. „Aber Tiere werden immer noch als Sachen gehandelt.“ Aber die Gürtlers glauben, dass damit bald Schluss sein könnte. Ihre KundInnen sind größtenteils Singles, die in den Speckgürteln der großen Städte wohnen. Wenn die abends nach der Arbeit heimkämen und kein Mensch da sei, der ihnen zuhöre, sei es naheliegend, dass Tiere bei ihnen einen so großen Stellenwert einnehmen. „Die Tiere betüdeln die Seele“, sagt Andreas Gürtler. Darum wollen die Besitzer ihre Tiere auch nicht einfach entsorgen, sondern sie bestatten. „Das Tier wird auch in Zukunft Konjunktur im menschlichen Umfeld haben“, sagt Gürtler. Tendenz steigend.