Der afrikanische Patient

DOKUS Die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender starten einen Themenschwerpunkt über den „Schwarzen Kontinent“. Damit sollen alte Klischees endlich widerlegt werden

VON RENÉ MARTENS

„Afrika ist und bleibt eine permanente Überforderung. 52 souveräne Staaten sind aus journalistischer Sicht fast so etwas wie eine Anmaßung“, hat der Publizist Rupert Neudeck kürzlich konstatiert. Die heutige WDR-Auslandsredakteurin Birgit Virnich, deren Dokumentation „Der afrikanische Patient – Wunderheiler China?“ die ARD heute um 21.45 Uhr zeigt, hat während ihrer Korrespondentenzeit in Afrika 2002 und 2008 immerhin 39 Staaten bereist. Eine Quote, mit der sie andere Journalisten aus Deutschland weit übertrifft.

Virnich und Co bemühen sich im Ersten, die oft klischeehafte Afrikaberichterstattung zu korrigieren. Die ist geprägt von den „vier Ks“ – so das brancheninterne Kürzel für „Kriege, Krisen, Katastrophen, Krankheiten“. Über zwei Monate erstreckt sich ein neun Dokumentationen umfassender Afrikaschwerpunkt, mit dem man neue Blickwinkel eröffnen möchte.

Hin zum Alltag

Das Jahr 2010 ist dafür ein geeigneter Zeitpunkt. Die Aufmerksamkeit für Afrika ist hoch, weil in Südafrika vom 11. Juni bis 11. Juli die Fußball-Weltmeisterschaft stattfindet. Nicht nur das Erste reagiert darauf, auch zahlreiche andere öffentlich-rechtliche Kanäle; bei Arte etwa steht der gesamte Juni im Zeichen Afrikas. Generell bemängeln Kritiker, der Medienkonsument in Deutschland bekomme im Wesentlichen ein Afrika ohne Akteure präsentiert. Die Handelnden, sagen sie, seien in der Regel Politiker und Organisationen aus der Ersten Welt. Das Erste will dagegen in seinem Schwerpunkt „offensiv anbieten, was wir im Alltag erleben“, sagt der in Nairobi sitzende Korrespondent Werner Zeppenfeld vom WDR. Statt wiederholt über die Arbeit von etwa Médecines Sans Frontières zu berichten, will man Afrikaner in den Mittelpunkt stellen, die selbst die Initiative ergreifen. Zeppenfeld ist einer von gerade mal 13 fest angestellten deutschen Korrespondenten, die in Subsahara-Afrika arbeiten; das Gros entfällt auf ARD und ZDF, den Rest stellen Spiegel, dpa, FAZ und SZ.

Virnich betont, der Berichterstattung aus Afrika seien oft auch durch das Pressefreiheitsverständnis vieler Regierungen Grenzen gesetzt. Monatelang habe sie „gebibbert“, bis klar war, dass sie für „Der afrikanische Patient“ in Angola drehen konnte.

Ihr Film ist der zweite des ARD-Schwerpunkts. In dem dokumentarischen Roadmovie steht ein Thema im Mittelpunkt, das derzeit die wirtschaftlichen Debatten um den Kontinent prägt: der Einfluss chinesischer Unternehmen, der vor allem im Straßenbau spürbar ist. Die Gesandten der Großmacht stehen zwar in der Kritik, weil sie Hungerlöhne zahlen. „Aber wer sagt, sie seien die neuen Ausbeuter, macht es sich zu einfach“, meint Virnich. „China geht in Länder, die der Westen aufgegeben hat.“

Journalisten, die für das Thema im Fernsehen kämpfen, sehen sich oft mit einem Widerspruch konfrontiert: Als Fernwehkulisse in öffentlich-rechtlicher Herzschmerz-Fiction sind afrikanische Locations beliebt. Andererseits stehe Afrika in dem Ruf, Quotengift zu sein, sagt Zeppenfeld. Um dies zu widerlegen, hatte man anfangs sogar geplant, die jährliche ARD-Themenwoche Afrika zu widmen. Das Thema dieses Programmevents im Oktober lautet nun Ernährung und Hunger. Dabei dürfte Afrika kaum unberücksichtigt bleiben.

■ Afrikaschwerpunkt, bis 15. 6., ARD