LESERINNENBRIEFE
: Wie geht es weiter, Grüne?

In der vorigen Wochenend-taz suchte Peter Unfried Antworten nach der grünen Zukunft in Baden-Württemberg. Ulrich Schulte hält die von Winfried Kretschmann vorgeschlagene Verengung auf ökologische Fragen für einigermaßen verrückt

Anything goes!

■ betr.: „Sapprament“, taz v. 28. 9. 13

Das Fazit des Artikels scheint zu lauten: „Leben und leben lassen“. Klar, im Idealfall achtet hier jede Person auf die andere, auch indirekt, wenn diese andere Person räumlich oder zeitlich entfernt lebt (leben wird). Leider wird dieses Motto gemeinhin mit folgender Bedeutung gebraucht: „Ich darf alles und du darfst auch alles dürfen. Anything goes!“ Hier setzt sich letzten Endes stets nur die stärkere Seite durch. Wie also auf jene freiheitsliebende Menschen reagieren, die unwissentlich die Freiheit anderer einschränken, aber selber mit „Leben und leben lassen“ argumentieren?

FLORIAN KIRCHESCH, Potsdam

Gleiche Muster

■ betr.: „Sapprament“, taz v. 28. 9. 13

Wenn ihr das nächste Mal wieder eine Themen-taz macht, dann kennzeichnet das bitte deutlich. Nachdem diese Ausgabe jetzt wohl die „Realo/Reformer/Schwarz-Grün-taz“ war, kommt jetzt bald die „Linke-Grünen-taz“? Erst darf Peter Unfried in gewohnter Weise durch Wiederholung immer gleicher Floskeln offensiv für Schwarz-Grün agitieren, dann verpasst Rezzo Schlauch dem Ganzen noch einen „Analyse-Anstrich“. Insbesondere Unfried bedient sich immer gleicher Muster, deren journalistischer Mehrwert für mich nicht erkennbar ist: Hier die „guten Grünen“ Palmer, Kretschmann, Habeck, Al-Wazir und Janecek, dort die „bösen, rückständigen“ Ströbele und Trittin. Würde Ulrich Schulte nicht zwischendurch seriöse Artikel zu dem Thema schreiben, würde die taz zum reinen Kampagnenblatt für Schwarz-Grün verkommen. So kann es echt nicht weitergehen. HELGE LIMBURG, Hannover

Es war verdient

■ betr.: „Sapprament“, taz v. 28. 9. 13

Das fatale Ergebnis bei der Bundestagswahl für Rot-Grün ist nicht nur zu bedauern, es ist zu konstatieren: es war verdient! Ich spreche nur mal die Zustände in Baden-Württemberg an, hier bei Grün-Rot, durch das gravierendste Ereignis mit S 21. Es war kein Thema hier im ganzen Wahlk(r)ampf bei allen Tunnelparteien, die Linke ausgenommen. Bemerkenswert ist, mit welcher Vasallentreue die Parteibasis, grün wie rot, ihrem Ministerpräsidenten und seinen Einflüsterern im Staatsministerium und im Verkehrsministerium in allem gefolgt sind. Das Milliardengrab, wie noch andere in der BRD, ist für MP Kretschmann und Konsorten ein riesiger Klotz am Bein geworden, wegen Blendung, Täuschung und Lüge, im Gegensatz zu seinen Aussagen vor der Landtagswahl und der Pseudo-Volksbefragung 2011. Unter Bezugnahme dieser politischen Ereignisse verkündet MP Kretschmann das Wahnsinnsprojekt S 21 zu verwirklichen. Dabei gibt es handfeste und juristische abgesicherte Möglichkeiten, S 21 zu stoppen: Ökodebakel, gesprengter Kostendeckel, Kapazitätsabbau, Sicherheitsrisiken, auch im Brandschutz, Enteignung von Privatbesitz und so weiter. Kretschmann hat Macht gerochen, er will bleiben. Aber das Finale von Grün-Rot in Baden-Württemberg ist abzusehen.

JOSEF DIRKSMANN, Lorch

Wachsende Kluft

■ betr.: „Fetisch Energiewende“, taz vom 1. 10. 13

Dem gut geschriebenen Artikel von Ulrich Schulte füge ich hinzu: Kretschmann verwechselt bei seiner Forderung nach „weniger Zumutungen für die Wirtschaft und Gutverdiener, weniger Konfrontation, mehr Versöhnung“ Ursache und Wirkung. Nicht die Grünen mit ihrem Programm konfrontieren, sind unversöhnlich, sondern Wirtschaft und Gutverdienende spalten die Gesellschaft in eine immer größer wachsende Kluft zwischen Reich und Arm. Die oberen 10 Prozent der Bevölkerung besitzen zirka drei Billionen Euro an reinem Geldvermögen. Das sind zirka das eineinhalbfache der gesamten Staatsschulden. Dazu kommt, dass unsere Gesellschaft zu einem großen Teil auf Kosten der armen Länder lebt. In unserer globalisierten Weltwirtschaft stirbt alle drei Sekunden ein Mensch an den Folgen extremer Armut. Ohne höhere Abgaben der Reichen für das Gemeinwohl sehe ich keine Zukunft mehr für unsere Gesellschaft. Deshalb fordert der Wählerwille höhere Abgaben für die Reichen: Rot-Rot-Grün hat die Mehrheit. ARTUR BORST, Tübingen

Urgrüne Themen

■ betr:. „Fetisch Energiewende“, taz vom 1. 10. 13

Ulrich Schulte trifft den Kern, wenn er davor warnt, dass sich die Grünen thematisch verengen könnten, auch wenn es sicher richtig ist, urgrüne Themen wie den Klimawandel, den Arten- und Umweltschutz, die Risiken der Atom- und Kohlekraftwerke, die Ökologisierung der Landwirtschaft etc. programmatisch in den Vordergrund zu stellen. Bei dieser Bundestagswahl ging es aber vielen Leuten auf Grund der Umfragesituation um die Frage: Schwarz-Gelb oder Schwarz-Rot? Viele haben sich für die SPD entschieden, um die FDP weg zu haben und um eine möglichst starke SPD in der Großen Koalition zu haben. Und noch mehr haben sich für Merkel entschieden, weil sie ihnen schlicht sympathischer ist als Steinbrück. Das ist zwar Pech für die Grünen (und die Linken), ändert aber nichts daran: Wer seriös Politik machen will, soll unbedingt sagen, woher das Geld kommen soll, das zum politischen Gestalten gebraucht wird! Bleiben die Grünen ihrem sozial ausgewogenen, ökologisch wie ökonomisch durchdachten Steuerprogramm treu, zahlt sich das langfristig aus, egal in welcher Konstellation die Grünen letztlich an der Umsetzung ihres Programms arbeiten können. BEN KRAMM, Bochum

Linke entsorgt

■ betr.: „Fetisch Energiewende“, taz vom 1. 10. 13

Die Grüne Linke hat sich zu lang an Trittin gekettet und jetzt besteht die Gefahr, dass mit der alten Garde gleich der ganze linke Flügel entsorgt werden soll. Kretschmann, Palmer & Co. haben auf ein schlechtes Ergebnis spekuliert, um nun mit Wirtschaft und Konservativen im Dialog die Energiewende und den Naturschutz voranzubringen. Aber wird man so die Energiewende beschleunigen, Massentierhaltung abschaffen, Rüstungsexporte einschränken und Mindestlohn durchsetzen? Eher nicht und nur so tun, als ob, im Gottesdienst für eine bessere Welt beten, aber sonst für Verbesserungen alle persönlichen Belastungen ablehnen, da gibt es schon genug Parteien, die diese Wählerschicht bedienen. MARKUS MEISTER, Kassel

In der Klemme

■ betr.: „Fetisch Energiewende“, taz.de 30. 9. 13

„Diese Wahl hat also nicht nur gezeigt, dass finanzielle Umverteilung in einem Wahlkampf nicht zu verkaufen ist, selbst wenn sie vernünftig kalkuliert wurde.“ Aha, deshalb haben also die Linken mehr Stimmen bekommen als die Grünen. Warum müssen wir uns jetzt anhören, dass Umverteilung böse ist, obwohl eine Partei wie die Linke damit bessere Ergebnisse erzielt als eine der Hartz-Parteien? Weil das Kapital in einer Klemme steckt. Die bisherige erste Wahl der Kapital-Lobbyisten, die FDP, ist weg. Nun soll es sich lohnen, dass man lang genug kleine Aufsteiger wie Fischer etc. mit Pöstchen in der Wirtschaft korrumpiert hat. Das Kapital hat keinerlei „Nachwuchsförderung“ bei den Grünen gemacht. Dort fehlen bei der Basis noch die Interessenvertreter des Kapitals. ARNE, taz.de

Themen wurden nicht vermittelt

■ betr.: „Fetisch Energiewende“, taz vom 1. 10. 13

Diese Überschrift in der taz zu lesen, befremdet doppelt. Allen Themen voran ist die Begrenzung des Klimawandels die Zukunftsaufgabe schlechthin. Denn dieser Wandel ist im Gange. Zudem kostet die Energiewende nicht, sie ist hoch profitabel, wie das Fraunhofer-Institut ZSW seit 2010 nicht nachlässt zu erklären. Haben die grünen Klimaexperten das verschlafen? Auf alle Fälle haben sie es im Wahlkampf nicht thematisiert. Die Energiewende gegen Vermögensbesteuerungen zu stellen, beweist nur noch einmal, dass beide Themen im Wahlkampf nicht vermittelt wurden. Das privat verfügbare Finanzvermögen ist seit 1992 von 1,7 auf 5 Billionen angestiegen, jährlich um 150 Milliarden. Der Zuwachs geht zu 90 Prozent an das oberste Prozent der Steuerzahler. Da dieses „Große Geld“ 6 bis 10 Prozent Verzinsung beansprucht und diese vom zu erwirtschaftenden Bruttosozialprodukt bedient wird, ist abzusehen,wie teuer das für die Gesellschaft ist. Es gibt mehrere dieser nicht abweisbaren Zukunftsthemen, sie müssen nur zur Sprache gebracht werden. Dann schwände wohl auch die Angst vor Neuwahlen. KLAUS WARZECHA, Wiesbaden

Es grenzt an linken Selbsthass

■ betr.: „Peinliche Pedanterie“, taz vom 2. 10. 13

Die taz selber hat immer wieder darauf verwiesen, dass in den 70er und 80er Jahren ganz andere gesellschaftliche Verhältnisse herrschten, sich humanistische Ansichten wenigstens teilweise durchsetzten und das alles im Kontext zu einer sexualfeindlichen und restriktiven Politik, die Jahrzehnte in Deutschland vorherrschte. Die damalige grüne Partei hat vieles davon aufgesogen, sicher auch einiges, was nicht korrekt war, weder damals noch heute. Aber so zu tun, als ob das nicht bereits Jahrzehnte her ist, und so zu schreiben, als ob die Grünen nicht bereits seit Jahrzehnten andere Forderungen vertreten, grenzt schon an linken Selbsthass! Wenn ein Grüner vor 30 Jahren Kinder missbraucht hat, dann ja nicht, weil er Grüner war und es als Grüner tat, sondern weil er damals schon diese Neigung hatte und meinte, diese in die Grünen reintragen zu können. Und dann der Vergleich mit der NPD. Wenn ein NPD-Mitglied in seiner Freizeit einen Farbigen verprügelt, tut er das aktuell sehr wohl im Kontext seiner Partei! Wenn ein Grüner heute Pädophilie legitimieren will, verstößt das eindeutig gegen die Positionen der Partei. Also nix mit „Täterpartei“. Und wenn doch, warte ich immer noch auf die Selbstanzeigen von SPD, FDP und CDU, vor allem im Zusammenhang mit ehemaligen Kommunisten und NSDAP-Mitgliedern, aber auch mit Aussagen wie von Sarrazin in der SPD oder manchem rechten Mandatsträger in der FDP oder der CDU. Es macht mich mittlerweile ziemlich sauer, mit einer „unverbesserlichen Pädophilenpartei“ gleichgesetzt zu werden.

JÖRG WILHELM, Wiesbaden

Es wird schwer, Protest zu wählen

■ betr.: „Fetisch Energiewende“, taz.de vom 30. 9. 13

Letztlich bekommt man den Eindruck, dass die Grünen Teil jener Gesellschaft geworden sind, die die Generation Praktikum, den unterirdischen und zutiefst inhumanen Niedriglohnsektor des freien Marktes und die damit verbundene Spaltung der Gesellschaft zugunsten ihrer ökologischen Visionen immer mehr tolerieren. Sie werden assimiliert und Widerstand ist offenbar zwecklos, denn die Partei ist scheinbar längst infiltriert von Interessengruppen, die diese Entwicklung befürworten.

Das bedeutet, dass sie ihre ursprüngliche Bedeutung aus den 80/90ern längst verloren haben, die FDP als Mehrheitsbeschaffer ablösen und wir auf eine neue Partei warten müssen, die sich traut, die tatsächlichen Probleme dieser Zeit auch konkret anzusprechen, Stellung zu beziehen und uns mit dieser Heuchelei verschont, es wäre ja alles in Ordnung und so gut wie nie.

Es wird schwer in diesem Land, ordentlichen Protest zu wählen, wenn keine Partei aus der Mitte der Gesellschaft dafür in Frage kommt. Außer der Tatsache, dass sich nichts wirklich ändert, die Verweigerung und Verdrängung bleiben wird, ist es fatal, dass man damit extremistischer Parteien jeglicher Richtung von Links bis Rechts in die Hände spielt, weil es an wirklichen Alternativen fehlt. Noch können die Grünen sich entscheiden, ob sie ihre Bedeutung behalten wollen. Aber viel Zeit bleibt ihnen nicht mehr. STIFTCHRONIST, taz.de

Vergleich mit der NPD hinkt

■ betr.: „Peinliche Pedanterie“, taz vom 2. 10. 13

Der Vergleich „Wenn ein NPDler privat einen Schwarzen verprügelt, fällt das auch auf seine Partei zurück“ mit den bislang bekannten zwei ehemaligen grünen Mitgliedern, hinkt ja wohl auf allen Beinen ganz gewaltig. Denn der Ausländerhass ist in der NPD-Programmatik angelegt, man kann davon ausgehen, dass alle NPDler so denken. Aber bei uns Grünen war es eben eine Minderheitenmeinung, die aufgrund von naivem Umgang mit Minderheiten – den Pädos – und der undifferenzierten Entkriminalisierungsforderungen für Homosexualität und Sex für Jugendliche in die Programmatik gelang – und sie wurden nicht früh genug gestoppt. Und es wurde sich nicht früh genug von Provokateuren in dieser Thematik wie Cohn-Bendit getrennt. Aber es gab niemals einen breiten Konsens in der Partei dafür, Sex mit Kindern zu entkriminalisieren. JÖRG RUPP, Malsch