: Der Agitprop-Trupp auf dem Land
GEDENKKULTUR Ein großer Findling dient seit Sonntag in Kyritz an der Knatter als Erinnerungszeichen an die Zwangskollektivierung der Kleinbauern in der DDR
Agrarpolitik ist eine knifflige Sache und deshalb nur bedingt denkmaltauglich. Die brandenburgische Stadt Kyritz an der Knatter (knatter, knatter – das kommt vom Lärm der Mühlen, nicht von dem Fluss, der heißt Jägnitz) ) verfügt seit letzten Sonntag gleich über ein zweifaches Agrar-Gedenken: Die zu DDR-Zeiten im Kulturpark errichtete Stele, die, mit einer schwülstigen Inschrift versehen, an die Bodenreform erinnert, hat eine neue bekommen. Die Ortswahl kam daher, dass die Enteignung der Großgrundbesitzer („Junkerland in Bauerland“) am 2. September 1945 von dem KPD-Vorsitzenden Wilhelm Pieck in Kyritz in der größten Ortskneipe proklamiert worden war. Dies geschah in Vollzug einer entsprechenden Anordnung der sowjetischen Besatzungsmacht aber nicht unbedingt gegen den Willen der unbefragten Nutznießer.
Das zweite Denkmal, das am Sonntag enthüllt wurde, ist eine in einen Findling eingelassene Platte und erinnert an die Zwangskollektivierung, mittels deren die bis dahin noch selbstständigen Bauern in den ersten Monaten von 1960 „vergenossenschaftlicht“ wurden. In einer euphemistisch „sozialistischer Frühling“ genannten Kampagne wurden damals alle Register realsozialistischer „Überzeugungsarbeit“ gezogen, bis das Gros der Bauern dem Druck der Agitprop-Trupps nachgab. Es folgten viel Leid, Flucht, Prozesse, auch Selbstmorde, worauf bei der feierlichen Einweihung des Denkmals der Vorsitzende des Bauernbundes, einer Vereinigung der heutigen selbstständigen Bauern, hinwies.
Ulrike Poppe, seit Kurzem Stasi-Beauftragte des Landes Brandenburg, unterstrich, dass seit Beginn der Kollektivierung 1952 Widerstand zu spüren war, besonders anlässlich des 17. Juni 1953. Sie sah die Bauern deshalb verankert in einer „deutschen Freiheitstradition“.
Widerstand macht krank
Der Ministerpräsident von Sachsen Anhalt, Wolfgang Böhmer, schilderte aus eigenem Erleben als junger Arzt die Kampagne des Frühjahrs 1960. Der städtische Agitprop-Trupp in seinem Dorf war so erschöpft von dem hartnäckigen Widerstand der Bauern, dass sich einer nach dem anderen von Böhmer krankschreiben ließ, um in die Stadt zurückkehren zu können. Beim fünften „Kranken“ wurde es Böhmer allerdings zu viel. Er fürchtete, selbst ins Fadenkreuz der Staatssicherheit zu gelangen. Böhmer erinnerte daran, dass beim „sozialistischen Frühling“ nicht die rationalen Argumente zugunsten genossenschaftlicher Großbetriebe ins Feld geführt wurden, sondern dass ideologische Motive wie die Angleichung der Bauern an die Arbeiter in die Waagschale geworfen worden waren.
Einen Tag vor der Denkmalseinweihung lud die Rosa-Luxemburg-Stiftung, die von dem Bauernbund-Vorsitzenden kurzerhand zur „Karl-Liebkecht-Stiftung“ umbenannt worden war, ebenfalls in Kyritz zu einer Tagung ein. Sie befasste sich mit der Bodenreform, der Errichtung der agrarischen Genossenschaften in der DDR und der Zukunft des Genossenschaftswesen im Osten. Wie bei der Denkmalsfeier auch sah man viele Bauern, themenbedingt darunter viele ältere. Erfreulicherweise geriet die Tagung nicht zu einer Nostalgieveranstaltung über „die schönsten Jahre meines Lebens in der LPG“.
Beeindruckend war das Referat von Christel Panzig aus Wittenberg über die Frauen in der Landwirtschaft der DDR. Sie waren es, die die Hauptlast der Arbeit trugen, insbesondere bei der schweren, kaum mechanisierten Tierzucht. Sie waren es auch, die die menschlichen Beziehungen, die Kommunikation, aufrechterhielten. Und sie wurden kaum gewürdigt.
Über den Charakter der Kollektivierung im „sozialistischen Frühling“ gab es auf der Tagung eine weitere Variante des üblichen Eiertanzes. Zwang ja, das wurde zugegeben, aber von „Zwangskollektivierung“ zu reden, ging einigen Teilnehmern, die darin einen Begriff des Kalten Krieges sahen, zu weit. Immerhin standen sich in der Auseinandersetzung darüber zwei Agrarhistoriker des gleichen Lagers von ehemaligen SED-Leuten diametral gegenüber.
Groß gegen Klein
Bei der Frage nach den größten Fehlern der DDR-Genossenschaften wurden zwei hervorgehoben: die Vernachlässigung aller Umweltprobleme und die willkürliche Trennung der Pflanzen- von der Tierproduktion.
Im Vorfeld der Veranstaltung hatte es heftige Kritik daran gegeben, dass Udo Folgert, Chef des Landesbauernverbandes Brandenburg und SPD-Abgeordneter, von der Rosa-Luxemburg-Gesellschaft eingeladen worden war. Hinter dieser Kritik steht ein schwerwiegender Interessengegensatz. Der Bauernbund als Vereinigung der Kleinbauern kämpft gegen die Genossenschaften und deren Bauernverband. Dort sind hauptsächlich Großbetriebe, darunter die Genossenschaften organisiert. Sie arbeiten mit Gewinn und greifen zudem die Kohle aus Brüssel ab.
CHRISTIAN SEMLER