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Archiv-Artikel

WM: Zu Hause bei Feinden

Ein Katalog mit Vorsichtsmaßnahmen soll schwarzhäutige Fußball-WM-Besucher vor rassistischen Übergriffen schützen. Ganze Bezirke kennzeichnet der Afrika-Rat als gefährliche „No-Go-Areas“

VON MATTHIAS LOHRE

Für Yonas Endrias ist Berlin noch immer eine geteilte Stadt. „Ich fahre mit meiner Tochter nicht in den Osten. Dort ist es zu gefährlich“, sagt der Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte. „Viele Schwarze, die die No-Go-Areas in Berlin nicht kennen, werden während der Fußball-WM angegriffen werden.“ Deshalb werden die Liga und der Afrika-Rat – der Dachverband afrikanischer Vereine und Initiativen in Berlin-Brandenburg – in der kommenden Woche einen „Katalog mit Vorsichtsmaßnahmen“ für schwarzhäutige WM-Besucher veröffentlichen.

Die Fragenliste ist lang. „Wohin dürfen sie gehen? Welche Kneipen sollten sie meiden, wohin nur gemeinsam mit anderen gehen?“, sagt Ratsvorstand Moctar Kamara. Ganze Bezirke wie Hellersdorf-Marzahn und Köpenick sind aus seiner Sicht „No-Go-Areas“ für Menschen mit schwarzer Hautfarbe. Auch die S-Bahnhöfe Ostkreuz und Lichtenberg sollten WM-Besucher meiden. „Ebenso wenig kann ich ins Berliner Umland fahren“, klagt Judy Gumnich vom Afrika-Rat.

Ihren Katalog verstehen die Macher als Notwehr angesichts rassistischer Übergriffe. Zuletzt bekannt wurde der Angriff zweier Angetrunkener auf einen Jemeniten im U-Bahnhof Warschauer Straße am Mittwochmittag. Das Opfer erlitt eine Platzwunde am Kopf, konnte das Krankenhaus aber mittlerweile wieder verlassen.

Durch den Katalog wollen sich die Vertreter afrikanischer Gruppen nicht mit der Bedrohung arrangieren. „Bewegungsfreiheit ist ein Menschenrecht, und das wird verletzt“, sagt Gumnich. „Damit finden sich zu viele ab.“ Der rassistisch motivierte Anschlag auf einen Deutschen äthiopischer Herkunft in Potsdam zeige, dass die derzeitige Integrationsdebatte am Problem vorbeigehe. „Es ist die schwarze Hautfarbe, nicht der deutsche Pass, der uns aus Sicht vieler Menschen ausmacht“, urteilt Gumnich. „Solange dieser Rassismus gegen schwarze Menschen nicht thematisiert wird, werden allgemeine Maßnahmen zur Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus in Deutschland scheitern“, sagt Liga-Vizepräsident Endrias. Nach Schätzungen des Afrika-Rats leben zirka 18.000 Schwarze in Berlin. Genauere Zahlen gebe es nicht, da Behördenstatistiken nicht die Hautfarbe erfassen.

Hasan Sezgins vom Migrationsrat Berlin-Brandenburg fordert nun das kommunale Wahlrecht für Nichtdeutsche. „Denn solange wir von gesellschaftlicher Repräsentation ausgeschlossen sind, werden sich Übergriffe häufen“, sagt Sezgin.

Integrationshilfe von der öffentlichen Hand gebe es kaum, sagt Miriam Camara von Black Flowers e. V. Der Potsdamer Verein unterstützt MigrantInnen und ihre Angehörigen. Vergeblich habe sie beim Ausländeramt der brandenburgischen Landeshauptstadt und in benachbarten Städten um finanzielle Unterstützung für ihren Verein gebeten. Auch die Frau des lebensgefährlich verletzten Potsdamers engagiert sich bei Black Flowers.

Die Macher des Katalogs wissen, dass er nur ein lückenhafter Notbehelf ist. Einem Freund hätten Angreifer am belebten Alexanderplatz die Nase gebrochen, sagt Ratsvorstand Moctar Kamara. Sein Urteil: „Es kann überall passieren.“

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