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Archiv-Artikel

„Flachdach ist spießig“

Selbst berühmte Kollegen, so der Architekt Christoph Mäckler, bauen nur noch aus dem hohlen Bauch heraus. Gewachsene Strukturen? Interessieren sie nicht. Baugeschichte? Kennen sie nicht. Ein Gespräch zum Frankfurter Architekturstreit

INTERVIEW NIKE BREYER

In Frankfurt am Main kochen die Emotionen. Nachdem die Stadt im letzten Jahr den Abriss des maroden Technischen Rathauses am Römerberg beschlossen hat und die prämierten Neuentwürfe vorliegen – Varianten der notorischen Glasbeton-Büroarchitektur –, regt sich Widerstand. Körbe von Leserbriefen erreichen die Redaktionen der regionalen Tageszeitungen. Eine Bürgerinitiative präsentierte den Gegenentwurf eines Bauingenieurs aus Offenbach: eine weitestgehende Wiedererrichtung der mittelalterlichen Häuser nach alten Plänen. Seither polarisieren sich die Positionen: Stahlbetonharte Modernisten stehen einem bunten Haufen von „Rekonstruktionisten“ gegenüber. Ein Besuch bei Christoph Mäckler, dessen jüngster Bau, die Ausstellungshalle Portikus auf der Maininsel, Anfang April eröffnet wurde. Ort des Treffens: das Büro des Architekten an der Alten Oper.

taz.mag: Herr Mäckler, von 1982 bis 1996 waren Sie Mitglied des Städtebaubeirates, seit einigen Jahren bauen Sie selbst für die Stadt Frankfurt. Wie erklären Sie sich die ungewohnte Emotionalität in der aktuellen Altstadt-Debatte?

Christoph Mäckler: Dafür gibt es natürlich Gründe. (wendet sich dem Fenster zu und weist aus der Höhe des achten Stockwerks auf das schräg gegenüber liegende Rundfunkhaus) Gucken Sie sich dieses grüne Etwas an, diese „Frankfurter Welle“! Was hat das, bitte, mit dem Opernplatz zu tun? Nichts! Das ist ein … Pisspott, ein Pissoir royal. Dieser Platz war einmal in Sandstein gestaltet. Die Alte Oper ist aus französischem gelbem Sandstein. Hier die Häuser sind auch alle aus Sandstein. Die „Welle“ dagegen mit ihrer grünen Glasfassade ignoriert in geradezu aufreizender Weise den Charakter dieses Ortes, sie verweigert sich seiner Geschichte und dem vorgefundenen architektonischen Ensemble. Dieses Verständnis von Architektur ist heute typisch.

Und das ist ein Grund für die Bürger, auf die Barrikaden zu gehen?

Ich muss weiter ausholen: Das gegenwärtig artikulierte Verlangen nach Rekonstruktion spricht dafür, dass wir uns zu wenig um die Geschichte überhaupt in Deutschland, nicht nur in Frankfurt, gekümmert haben. Das ist auch ganz klar, das Dritte Reich und der Krieg, mit dem diese Hitler-Ära endete, bedeuteten einen scharfen Einschnitt in den Köpfen der Menschen, die in diesem Land gelebt haben. Man muss sich nur vorstellen, dass man in einer Nacht ein Stadtviertel – das Zentrum von Dresden oder das Zentrum von Frankfurt – niederbrennen sieht und damit seine ganze Identität als Mensch verliert: Der Ort, an dem man aufgewachsen ist, an dem die Eltern aufgewachsen sind, die Großeltern aufgewachsen sind, ist von einer Minute auf die andere weg. Das hat zur Folge, dass man versucht, den Verlust zu kompensieren.

Durch den Blick nach vorn.

So erkläre ich mir zumindest die Tatsache, dass in vielen deutschen Städten die Geschichte völlig negiert wurde. Wenn Sie an Hannover denken, an Stuttgart: Städte, die völlig gesichtslos geworden sind in einem Sinne, dass fast nichts mehr von der tradierten Kultur, die es dort gab, vorhanden ist.

Auch nach dem Krieg wurde doch weiter abgerissen. Spitze Zungen nannten das „Ruinen schaffen ohne Waffen“.

Richtig, das Berliner Schloss ist gesprengt worden. Gut, das geschah in der DDR sicherlich aus ideologischen Gründen.

Bei uns im Westen waren die Abrisse nicht ideologisch?

Ideologisch kann man es nicht nennen. Es war ein Nach-vorne-Schauen. Man wollte die neue Welt, die neue Stadt, das neue Leben. Über das Wirtschaftswunder hat man auch schnell dazu gefunden und hatte dann die Möglichkeit, die Städte auch wirklich neu zu errichten und etwas völlig Neues zu machen. Es gab allerdings vieles, da haben Sie völlig Recht, das hätte man bewahren können – und man hat es nicht getan. Auch hier in Frankfurt. In der Braubachstraße etwa, dort, wo das technische Rathaus entstanden ist, befand sich nebendran ein ganz altes Gebäude, das einfach abgerissen wurde, als man dort mehr Platz brauchte.

Ihre Architektenkollegen sehen das überwiegend nicht als Verlust oder gar als eigenes Versäumnis.

Das liegt an unserer Generation. Daran, dass wir alle die Erziehung zur Moderne genossen haben. Man hat uns von der Geschichte nichts mehr erzählt, weil man – wie gesagt – eher nach vorne geguckt hat.

Ihre Lehrer müssten doch die Zeit vor dem Krieg noch miterlebt haben?

Ja, sicher. Aber was hat man uns beigebracht? Man hat uns beigebracht, dass alle Bauten des Nationalsozialismus martialisch sind, grässlich sind, grauenhaft sind.

Sieht man das inzwischen nicht differenzierter? Das Architekturmuseum in Frankfurt widmete erst kürzlich dem lange als reaktionär etikettierten Paul Schmitthenner eine Ausstellung. Andererseits hat ein Egon Eiermann schon im Nationalsozialismus funktionalistisch gebaut.

Ja, vor allem bei Industriebauten ging das. Die Ernst Heinkel Flugzeugwerke waren eine klare Stahlkonstruktion, verglast und so weiter. Da war das möglich. Bei einem Parteigebäude oder einem Repräsentationsgebäude des Staates war das nicht denkbar.

Die Gestapo saß auf Stahlrohrmöbeln. Auch die populäre Vorstellung, Fachwerk sei typisch nationalsozialistisch, ist kaum haltbar. Der NS-Stil war insgesamt wohl heterogener und weniger tümelnd als weithin angenommen.

Da gibt es ein schönes Zitat von Hans Hollein, der einmal, auf den Faschismus angesprochen, in seinem Wiener Dialekt sagte: Wenn Adolf Hitler Wiener Schnitzel gegessen hätte, dann wäre Wiener Schnitzel heute faschistisch. Also hat man nach dem Krieg im Sinne von Günter Behnisch nur noch in Stahl und Glas so genannte demokratische Architektur in den Raum gestellt.

Und das ist nicht Ideologie?!

Doch, das ist ideologisch. Dabei hat Behnisch seine Glasfassade bei seinem letzten Werk am Pariser Platz in Berlin [dem Neubau der Akademie der Künste; Anm. d. Red.] zusammen mit diesem Menschen aus Darmstadt [Werner Durth; Anm. d. Red.] und mit dem Bundespräsidenten gegen die vom Senat festgesetzte Gestaltungssatzung durchgesetzt. Das muss man sich mal vorstellen. Ich meine, das hat mit Demokratie nun gar nichts mehr zu tun. Für mich ist es ein Armutszeugnis, wenn ich als Architekt nur mit einem Material arbeiten kann. Ich arbeite mit allen Materialien. In München stehen Putzbauten, in Hamburg stehen Putzbauten, aber auch sehr viele Ziegelbauten. Wir arbeiten hier mit dem einen Naturstein, dort mit einem anderen. Jede Kulturlandschaft hat ihre Eigenheiten, und diese Eigenheiten gilt es aufzugreifen.

Woher nehmen Sie Ihre Anregungen?

Mathias Ungers, bei dem ich gelernt habe, ist ja neben Aldo Rossi in Italien der Wegbereiter in Deutschland, der es geschafft hat, dass man wieder über Architektur nachdenken darf. Ungers ist dafür heftigst angegriffen worden. Ich war in der Zeit in seinem Büro und weiß, dass er darunter auch gelitten hat. Aber im Grunde hat er eine Bewegung in die Wege geleitet, die uns heute die Chance gibt, wieder über Geschichte nachzudenken, über Tradition.

Als Bekenntnis zur Tradition habe ich die Postmoderne nicht in Erinnerung.

Also zunächst: Ungers ist nicht Postmoderne für mich, mitnichten. Aber wenn Sie die Postmoderne ansprechen, muss verstanden werden, dass sie mit den Mitteln der Ironie gegenüber der Geschichte den Funktionalismus überwinden wollte. Wenn Sie sich diese ironischen Gebäude ansehen von Charles Moore, Venturi und Rauch und wie diese Leute alle hießen. Die waren ja noch viel stärker in diesem Kokon der Moderne gefangen, als wir das heute sind. Sie mussten sich daraus erst einmal befreien. Sie können dann zwar noch immer keine Säule entwerfen, aber sie können die Säule ironisieren, so wie es Venturi gemacht hat bei dem Haus für seine Mutter.

Hand aufs Herz: Wollen Sie in einem ironischen Haus wohnen?

Nein, natürlich nicht. Ich hab damit auch nichts am Hut. Ich versuche nur zu erklären, warum das so gewesen ist.

Die aktuelle Architekturdebatte in Frankfurt geht über die Frage „Säulen, ja oder nein?“ hinaus. Eine große Zahl von Bürgern will, salopp gesagt, die mittelalterlichen Fachwerkhäuser zurückhaben. Hilmar Hoffmann, der ehemalige Präsident des Goethe-Instituts, hat dabei unerwartet Verständnis für die Restaurationssehnsüchte geäußert. Man könne nicht gegen die Bürger bauen. Das Bedürfnis nach Geborgenheit und Heimat sei ein Faktum. Das hat jetzt mit Ironie gar nichts zu tun.

Sicher. Auf den Bürger komme ich gleich noch zu sprechen, ich möchte aber vorher noch etwas zu meinen Architektenkollegen sagen. Das hängt eng miteinander zusammen. Also erst mal haben wir die Situation, dass die Architekten, und das ist meine Generation zuallervörderst, über Architektur sehr wenig gelernt haben. Sie haben heute in Darmstadt an der Technischen Hochschule nicht einmal einen Lehrstuhl für Baugeschichte. Da werden Architekten ausgebildet, ohne dass sie mit der Baugeschichte Europas in Berührung kämen. Ich halte das für völlig absurd. Das zeigt sehr klar, wie wir ausgebildet werden, nämlich rein formal, formalistisch, wenn Sie so wollen. Es wird aus dem hohlen Bauch heraus entworfen. Es werden Images entworfen.

Das ist Teil der Ausbildung?

Seit den Sechzigerjahren. Ja, ich würde sagen, seit der Behnisch-Schule in Darmstadt ist das ganz massiv so. Wenn Sie an den Fakultäten sind, sehen Sie, dass alle oder fast alle Fächer Entwurfsfächer sind, egal ob es sich um Bauphysik handelt oder um Baukonstruktion. Selbst bei Baugeschichte und Denkmalpflege steht an jedem Lehrstuhl „Entwurf und Baugeschichte“, „Entwurf und dies und das“. Das ist eine absolute Vereinfachung und Trostlosigkeit, wenn ich alles nur nach eigenen Maßstäben entwickle, statt mich mit dem auseinander zu setzen, was jahrhundertelang gang und gäbe war.

Wenn es nicht die Historie ist, was ist denn dann stattdessen die Referenz?

Der Bauch des Architekten, ganz einfach.

Hängt das mit dem Einsatz von Computern zusammen?

Der Rechner ist nichts anderes als ein sehr schneller Zeichenstift. Er gibt Ihnen verbesserte Möglichkeiten, Kurven zu erarbeiten oder schwierige Volumina. Mehr nicht. Diese Computerisierung kommt ja aus der Flugzeugtechnik, aus der Raumfahrt, und macht es möglich, genau zu errechnen, wie die Kurve des Rumpfs oder der Tragfläche verlaufen muss, um besonders aerodynamisch zu sein. Diese Programme machen sich Leute wie Frank Gehry zunutze, um damit eine Architektur zu schaffen, die sehr verrückt sein kann.

Und stark vom Objekt her gedacht.

Das ist das Schlimme. Der Architekt geriert sich als Künstler, der als Star durch die Gegend rennt. Er produziert, oder besser gesagt: reproduziert immer das Gleiche. Die derzeit bekanntesten Architekten weltweit sind dadurch bekannt geworden, dass sie bis auf wenige Ausnahmen an jedem Ort ihr Produkt abstellen, im wahrsten Sinne des Wortes. Ob das dann in Barcelona steht oder in Tokio, in New York oder in Herford in Westfalen – es ist in Varianten immer das Gleiche.

Sie meinen das Konzept des Branding.

Völlig richtig. Der Markengedanke führt dazu, dass der Ort mit seiner Kultur so gut wie keine Berücksichtigung findet.

Werden die Architekten von den Bauherren nicht darauf eingeschworen?

Nein, da geht es um den Starkult. Ein Stadtbaurat braucht einen XY, den er wie eine Sophia Loren oder wen auch immer als Star in die Gegend stellt und mit dem er wirbt – für sich und für seine Stadt. Mehr ist es nicht. Es gibt Leute wie Alvaro Siza in Portugal oder auch Raphael Moneo in Spanien, die völlig anders arbeiten. Das sind Gebäude, die gehen auf den Ort ein und verklammern sich mit der Kultur dieses Ortes. Das ist eine völlig andere Haltung als die Haltung der Moderne, die versucht, den Traditionen immer etwas entgegenzusetzen.

Das Glashaus zwischen mittelalterlichen Fachwerkhäuschen.

So. Wo es dann wirklich absurd wird, ist, wenn diese Leute, wie es jetzt in Frankfurt geschieht, die alten Wurzeln mit ihrem eigenen Projekt regelrecht zerstören. Die Großmarkthalle ist eine der wesentlichen Bauten der Zwanzigerjahre, als großer Hallenbau von Martin Elsässer hier in Frankfurt errichtet. Beim ersten Wettbewerbsbeitrag haben die Architekten von Coop Himmelb(l)au das Haus einfach in der Mitte zerschnitten. Mit ihrem zweiten Entwurf haben sie ein Gebäude davorgelegt, auch gleich mit dem passenden englischen Titel „Groundscraper“ versehen, das den Blick vom Main auf die wunderbare alte Halle völlig ignoriert. Die haben sie einfach zugebaut! Die Folge: Der Neubau erscheint als eigenständiges Gebilde und die Elsässer-Halle letztlich als Störfaktor, den man am liebsten weghaben will. Das ist eine Art, mit Architektur umzugehen, die ich in keiner Weise akzeptiere und von der ich auch glaube, dass sie dazu geführt hat, dass die Bürger – jetzt sind wir beim Bürger – so reagieren, wie sie es hier in Frankfurt mit dem alten Stadtviertel im Zentrum tun.

Sie meutern.

Richtig. Das ist aber nicht nur hier in Frankfurt so. Die Politiker stehen im Grunde mit dem Rücken zur Wand, wenn sie in einer gewachsenen Stadt etwas mit Gewalt verändern wollen, weil die Menschen zunehmend empfinden, dass das, was da in vielen Fällen entsteht, mit dem Gemeinsinn einer Gesellschaft nichts zu tun hat. Ich hab’s vorhin schon einmal gesagt: Was da entsprechend der Moderne hingesetzt wird, ist etwas, was gegen die Identität, gegen die Kultur des Ortes arbeitet und eigentlich nur Teil desjenigen ist, der dieses Bauwerk produziert. Die Bauten, die so entstehen, empfinden die Bürger als so negativ, dass sie sich zurücksehnen nach dem, was sie lieb gewonnen haben. Das Schlimme ist nun, dass einige Architekten und auch Politiker meinen, man könnte mit historischen Gebäuden darauf reagieren, weil die Architektur einfach versagt hat. Es ist ein Ausbrechen in die Vergangenheit, weil die Gegenwart nicht das bietet, was die Menschen als Bedürfnis formulieren. Das ist meiner Meinung nach genauso falsch, wie den Ort einfach zu ignorieren.

Mängel und Frustrationen, die aus der einäugigen Fixierung auf einen stereotyp interpretierten Funktionalismus erwachsen, werden immer deutlicher. Bröseln den Architekten als Speerspitze der Moderne nicht die Argumente ihrer Befreiungsrhetorik weg?

Ich glaube nicht. Der Architekt hat heute ein derartiges Selbstbewusstsein, das ist kaum zu erschüttern. Das wird ihm ja schon in seinem Studium eingeimpft. Eine Veränderung wird nur dann stattfinden, wenn es eine gesellschaftliche Veränderung gibt, nur dann, wenn die Städte sich genau überlegen, mit wem sie bauen, wen sie in ihre Preisgerichte hineinsetzen und wer überhaupt die Fähigkeit hat, sich mit der Geschichte auseinander zu setzen. Das hat auch mit Bildung zu tun.

Sehen Sie denn Anzeichen für eine solche Entwicklung?

Ja. Schlimm ist nur, dass das Ganze jetzt ins andere Extrem umschlägt. Sie können den Römerberg nicht mehr mit Fachwerkhäusern aufbauen. Das ist Unsinn. Wobei das andere Extrem, zu sagen, wir machen jetzt was ganz Neues, so wie der städtische Wettbewerb ausgeschrieben war, auch verfehlt ist. Ich bin der Meinung, dass sich ein Entwurf, der an dieser Stelle entsteht – an der über fünfhundert Jahre die deutschen Kaiser langgelaufen sind –, sich gefälligst mit der Geschichte des Ortes auseinander zu setzen hat. Die finden Sie wieder, indem Sie eine Bautypologie festlegen, wie sie in der Altstadt bestanden hatte, etwa die hoch aufschießenden vertikalen Gebäude mit ihren hohen Schieferdächern. Dann gibt es die Spolien. Die müssen eingebaut werden, nicht als dekorative Elemente, sondern als Teile, die auch benutzt werden. Wenn Sie so ein Kapitell irgendwohin setzen, so eine kleine Knacke oder was auch immer, können sie die nicht unter Glas tun.

Weil sie dann bloßes Zitat und Fremdkörper bleiben?

Damit es klarer wird: Vielleicht nenne ich einmal die fünf Punkte, von denen ich meine, dass sie notwendig sind, um diesen Ort in den Griff zu bekommen: Das Erste ist der historische Stadtgrundriss. Der muss Grundlage sein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man den alten Krönungsweg plötzlich auf den Domturm zulaufen lässt, so in amerikanischer Manier. Der Ort fängt nur dadurch an zu leben, dass ich ihm seine alten Grenzen wiedergebe. Der zweite Punkt ist eine typologisch kleinteilige Bebauung. Da muss eine Typologie her. Da muss eine Kleinteiligkeit her, die diese Häuser als Typen zeigt, ohne dass ich sie gleich rekonstruiere. Das Dritte: Wir brauchen an diesem Ort beides, Wohnen und Arbeiten. Es kann nicht sein, dass wir da eine Riesenbürolandschaft hinsetzen. Das Vierte ist, dass erhaltene originale Fassadenteile, die so genannten Spolien, wieder eingebracht werden und etwas von der Geschichte des Ortes erzählen. Als Fünftes und Letztes kommt für mich hinzu: Um den Markt als einen geschichtlichen Ort zu verdeutlichen, kann ich mir vorstellen, dass man zwei, drei Häuser original wieder aufbaut, also die berühmte „Goldene Waage“ ganz am Anfang des Krönungsweges, und am Ende das „Rote Haus“. Das steht ungefähr dort, wo heute der Eingang von der Schirn ist. Eigentlich brauche ich nur diese beiden Häuser, um das Areal zu markieren. Als Katastrophe empfinde ich es, dass man nun versucht, hier eine Volksabstimmung zu machen.

Warum?

Weil das völlig absurd ist. Stellen Sie sich vor, Mercedes-Benz würde ein Auto produzieren und alle Bürger in Deutschland befragen, ob es die richtige Form hat. Das können Bürger so nicht entscheiden. Wenn ich heute die Diskussionen erlebe, merke ich, wie wenig Wissen selbst unsere Politiker haben. Zu sagen, hier habe ich ein Grundstück und stelle da ein Paar Baubeispiele drauf, ist völlig abwegig. Da kriege ich so eine Art Hessenpark.

Den Experten fehlt es offenbar an fachlichen Kategorien.

Die haben in ihrem Studium und in ihrem ganzen Leben nur Flachdächer gezeichnet und könnten, selbst wenn sie es wollten, ein anderes Dach gar nicht hinkriegen. Die Leute wissen doch zwischen einem Walmdach und einem Satteldach gar nicht mehr zu unterscheiden. Es herrscht da eine Sprachlosigkeit, die entstanden ist durch eine eklatante Unbildung in der Architektur. Dieses Wissen müssen Sie erst mal wiederherstellen.

Dafür streiten Sie. Ist bei Ihrer Erziehung zur Moderne etwas schief gelaufen? Etwa weil Sie familiär vorgeprägt sind?

Es gibt schon den ein oder anderen Kollegen, der ähnlich denkt wie ich. Wenn Sie so wollen, ist das die neue Avantgarde. Ich meine, die Moderne ist hundertfünfzig Jahre alt. Was soll das eigentlich? Wenn Leute daherkommen und sagen: Das ist aber spießig! Wie kann man nur so ein spießiges Dach da draufsetzen?! Dann sage ich: Was baust du denn für ein spießiges Flachdach? Le Corbusier hat bei seinen letzten Bauwerken Kappendecken gebaut, in der Villa Jaoul in Paris. Das waren Leute, die sich in ihrem eigenen kurzen Leben weiterentwickelt haben. Nachdem sie zuerst alles negiert hatten, haben sie sich später wieder zurückgenommen. Zumindestens ein Le Corbusier. Die Leute, die heute die Moderne fast militaristisch propagieren, sind einfach im Kopf stehen geblieben. Und was mein Elternhaus angeht, mögen Sie Recht haben: Meine Familie kommt aus dem Koblenzer Raum und ist da im Stadtarchiv im Zusammenhang mit der Feste Ehrenbreitstein zum ersten Mal als Baumeister aufgetaucht. Das zieht sich als familiäre Tradition vom 17., 18. Jahrhundert bis in unsere Zeit.

Respekt.

Wir haben zu Hause alte Kirchenbücher. Da kommen die alle vor. Mein Vater hat mal versucht, das zu rekonstruieren. Da er aber ein ziemlicher Moderner war, hat ihn das doch nicht so sehr interessiert, sondern erst in einem sehr späten Lebensabschnitt.

Die Atheisten! Auf dem Sterbelager werden sie alle katholisch.

Ich bin tatsächlich in einem katholischen Elternhaus aufgewachsen. Mein Vater hat sehr viel für die Diözese Limburg gebaut, allein fünfundzwanzig Kirchen. Das Elternhaus selbst war strikt modern, im Wohnraum eine Riesenglasfassade, Steinfußboden, keine sichtbaren Heizkörper, alles ganz reduziert und mittendrin die berühmte Wendeltreppe. Gleichzeitig standen da aber aus dem Leben meiner Mutter wunderbare Biedermeier-Sessel, eine alte Biedermeier-Chiffoniere und eine riesige alte Truhe. In den Fünfzigerjahren, müssen Sie wissen, hat man sich kein Biedermeier ins Haus gestellt. Nicht als fortschrittlicher Architekt. Das sind symbolisch die beiden Positionen, mit denen ich aufgewachsen bin.

Wo hat Ihr Vater gelernt?

Er war hier in Offenbach beim alten Böhm, wie er immer gesagt hat, also bei Dominikus Böhm, dem Vater von Gottfried Böhm, an der Werkkunstschule. Dann hat er bei Heinkel gearbeitet, der die Flugzeugwerke in Berlin gebaut hat. Da gab es ein Büro, da saßen die alle, der Georg Leowald, der Hans Leistikow. Die ganzen Typen saßen bei denen im Büro.

Auch Ihr Großvater war Architekt?

Nein, mein Großvater ist aus der Art geschlagen. Er war Erfinder und ist sehr verarmt gestorben.

Was hat er denn erfunden?

Rasierapparate und solche Sachen, die aber nie richtig funktioniert haben. Er ist damit auch nicht glücklich geworden. Mein Vater hat ihn am Ende seines Lebens wieder unterstützt. Aber da gibt es andere völlig abenteuerliche Geschichten. Ein Urgroßvater von mir war der Sohn eines Baumeisters, der Kanäle und Eisenbahntunnel und was weiß ich gebaut hat, im 19. Jahrhundert. Der hat, als er einmal zu tief ins Glas geschaut hatte, den Tagelöhnern ihren Lohn nicht gebracht und ist auf dem Pferd mit dem ganzen Geld nach Rom durchgebrannt und dann dort als Söldner des Papstes aufgetreten. (Heiterkeit)

Ihr Vater, Hermann Mäckler, hat 1951 mit seinem Partner Alois Giefer den Frankfurter Flughafen gebaut. Sie haben im letzten Herbst den neuen Wettbewerb zum Flughafenausbau gewonnen. Wie fühlt man sich, ein Bauwerk zu ergänzen, das der eigene Vater gebaut hat?

Erst mal bin ich stolz auf unsere Familientradition. Auf der anderen Seite sind die Anforderungen heute völlig andere als vor fünfzig Jahren. Die Sicherheitsstandards, die ökonomischen Bedingungen sind heute viel schärfer. Es gibt natürlich auch Leute, die sagen: Tja, der Vater hat den ersten Flughafen gebaut. Das hat er fein hingekriegt, dass er jetzt den zweiten Flughafen baut. Das ärgert mich. Fünfzig internationale Büros haben am Wettbewerb teilgenommen. Norman Foster, der mit einer Armada hier angerückt ist, haben wir auf Platz zwei verwiesen. Das hat schon mit unserer Qualität zu tun und nicht nur mit dem Namen.

Vielleicht auch damit, dass Sie sich mit dem Ort, seiner Funktion und Geschichte auseinander setzen, bevor Sie entwerfen und bauen?

Wenn Sie sich das bitte einmal anschauen! (holt einen alten Kupferstich) Das ist die Stadt Frankfurt am Main vor zweihundert Jahren. Das ist der berühmte klassizistische Mainprospekt. Sehen Sie hier mittendrin die alte Stadtbibliothek? Damals gab es eine klare Gestaltungssatzung, mit der Johann Christian Friedrich Hess in Frankfurt festgelegt hat, wie hier gebaut wird. Hess hat in Paris an der École des Beaux-Arts gelernt und ist dann nach Frankfurt gekommen. Vater und Sohn haben als Stadtbaumeister hier diese Dinge durchgesetzt. Über sechzig Jahre hat die Satzung gehalten. Dann entstehen natürlich solche Bilder. Wir haben jetzt die alte Stadtbibliothek von Hess wiederaufgebaut. Jetzt ist das Literaturhaus da eingezogen.

Wo ist der neue Portikus?

Der steht jetzt an der alten Brücke. Auf der Maininsel standen früher Mühlenhäuser. Da war ein Gefängnis drauf. Und eine Kapelle. Die Brücke hatte sogar eine eigene Gerichtsbarkeit. Wir haben den Wettbewerb zur Sanierung der Alten Brücke gewonnen mit dem Vorschlag, sie in ihrer historischen Dimension wieder aufzuarbeiten. Im Grunde ist die Brücke der Geburtsort der Stadt Frankfurt. Sämtlicher Warenverkehr aus den norditalienischen Handelsstädten in die Hansestädte ist über diese Brücke gelaufen. Deswegen stand sie auch unter Reichsschutz. Deswegen ist hier auch die Messe entstanden.

Ihr Etikett als Traditionalist dürften Sie weg haben.

Nein. Ja. Aber ich wehre mich entschieden dagegen, dass ich in diese Retro-Ecke gestellt werde. Ich spreche stattdessen von der „Rematerialisierung“ der Moderne.

Ach, die muss noch mal materialisiert werden?

Nein, nein, anders. Die Moderne ist ja in ihren Ursprüngen als abstrakter Körper verstanden worden. Wenn Sie daran denken, wie Fenster putzbündig außen zu liegen hatten, mit minimalistischen Stahlrähmchen. Denken Sie an die Villa Savoie, diesen weißen Kubus mit dem Dachaufbau, der auf Stützen steht. Das sind Skulpturen gewesen, auch skulptural gedacht. Dagegen macht sich die Moderne keine Gedanken über Oberflächen, über Materialien, oder sie tut es viel zu wenig.

Was meint also Rematerialisierung?

Wir geben den Fenstern wieder eine Rahmung. Sehen Sie mal, was das plötzlich für ein Licht-und-Schatten-Spiel in der Fassade gibt. Das sind Kanneluren. Das gibt Ihnen die Möglichkeit, ein sehr einfaches Haus zu verzieren, indem sie die Oberfläche rematerialisieren. Die Moderne hat alles, was nicht zur abstrakten Skulptur passte – den Erker, Sprossenfenster, das Dach, die Gaube –, als spießig abgetan und zur Seite gelegt. Das versuche ich zurückzuholen.

Aber ist ein ganzheitlicher Architekturansatz heute überhaupt noch zu vermitteln? Die Studenten sind fasziniert von Popstars wie einem Rem Koolhaas oder einem Winy Maas von MVRDV und begeistern sich für deren verrückte Ideen der Hypermetropole und asiatischer Suprastädte.

Jaja, diese Leute laden ihren ganzen Müll jetzt in China ab. Sollen sie. Ich bin froh, wenn die alle nach China abhauen. Die Chinesen werden auch noch erleben, dass sie ihre Tradition dadurch verloren haben. Ich finde das eine Katastrophe. Ich gehe deswegen nicht nach China, weil ich die chinesische Kultur nur aus dem Geschichtsbuch kenne. In der deutschen Kultur bin ich aufgewachsen, mit der beschäftige ich mich laufend. Hier zu arbeiten ist für mich wesentlich anspruchsvoller als diese oberflächliche Art, mich da unten in dieser Weise zu positionieren.

Dieser Kulturexport wird aber emphatisch gefeiert.

Das liegt daran, dass man auf das Branding abfährt. Rem Koolhaas ist eine Marke. Die verkauft er eben überall in der Welt. Und die Medien greifen es auf, weil es so leicht fassbar ist. Wir an der Uni Dortmund packen das anders an. Wir fahren einmal im Jahr mit einer Gruppe von Studenten nach Venedig. Da sind die an den Plätzen nur am Zeichnen, Zeichnen, Zeichnen. Das machen sie wunderbar und erfassen damit die Raumproportionen, die Materialien, die Farben, die Formen. Und vorher kriegen sie von uns noch etwas von Camillo Sitte erzählt. Der hat Ende des 19. Jahrhunderts eines der bekanntesten Bücher über den Städtebau geschrieben.

Ist das noch lesbar?

Noch lesbar? Ich kann Ihnen sagen: Was ich heute lese, sind Bücher, die vor hundert Jahren entstanden sind. Da sehen Sie, was wir in der Zwischenzeit verloren haben. Das ist unglaublich. Camillo Sitte hat schon das 19. Jahrhundert beklagt. Wenn er sehen würde, was hier heute los ist, würde er wahrscheinlich auf der Stelle tot umfallen, weil diese Kulturlosigkeit nicht vorstellbar war in seiner Zeit. Die war auch eigentlich nur machbar durch die Zerstörung, die wir erlebt haben.

In einer globalisierten Welt wächst andererseits womöglich wieder ein Bedürfnis nach Verwurzelung.

Das ist völlig klar. Das können Sie wunderbar nachlesen bei Richard Sennett: Der mobile Manager braucht die Familie. Der vertraute Ort wird wieder eine größere Rolle spielen, das Zuhause oder das, was seit dem Dritten Reich nicht mehr Heimat genannt werden darf.

Walter Kempowski hat seine eben erschienenen Tagebücher „Hamit“ überschrieben. Das erzgebirgische Wort für Heimat.

Na gut, es geht auch weniger um den Begriff als um die Sache selbst. Noch ist dieses Konsumverhalten unglaublich ausgeprägt. Aber Sie können Studenten trotzdem begeistern. Sie müssen es nur richtig anfangen. Als ich anfing zu studieren, haben wir gedacht, wir werden die ganze Welt auf den Kopf stellen. Wir werden das alles wieder auf die Reihe bringen.

Wann haben Sie Diplom gemacht?

1980, und wenn ich mir heute anschaue, welche Früchte mein Werk trägt, dann ist das ein Atom von dem, was weltweit entsteht. Dann hab ich gar nicht viel erreicht. Ich erreiche vielleicht dadurch etwas, dass ich lautstark meine Meinung sage. Dann auch angegriffen werde. Was einen verletzt oder auch nicht. Was ich durchstehen muss. Wenn Sie andererseits überlegen, dass solche Mistkisten (weist noch einmal in Richtung „Frankfurter Welle“) noch vor fünf Jahren entstanden sind, dann zeigt das, dass wir eigentlich noch gar nichts erreicht haben, dass es wirklich einen gesellschaftlichen Wandel geben muss. Da bin ich allerdings sehr sicher, dass er kommen wird, weil diese Rückbesinnung doch mehr und mehr Fuß fasst.

NIKE BREYER, 50, lebt als freie Autorin in Marburg/Lahn