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Anti-Atom unter Strom

Zum 20. Jahrestag der Tschernobyl-Katastrophe demonstrieren Atomkraftgegner in ganz NRW für einen schnellen Atomausstieg. Unterstützt werden sie von einer breiten Bevölkerungsmehrheit

VON ANDREAS WYPUTTA

Der 20. Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl mobilisiert Nordrhein-Westfalens Anti-Atombewegung. Mit dutzenden Veranstaltungen landesweit werden Atomkraftgegner in den kommenden Tagen an den Super-GAU in dem ukrainischen Atomkraftwerk erinnern, der am 26. April 1986 weite Teile Europas verstrahlte – und so gegen die Gefahren der Atomindustrie demonstrieren (siehe Kasten).

Dabei können sich die Anti-Atom-Aktivisten auf die Unterstützung breiter Teile der Bevölkerung verlassen. Nach einer aktuellen, bisher unveröffentlichten Studie des Bunds für Umwelt und Naturschutz (BUND) unterstützen 62 Prozent der Bundesbürger die Forderung nach einem „schnellen Atomausstieg“.

Schlicht nicht mehrheitsfähig sind damit Versuche der nordrhein-westfälischen Landesregierung, der Atomenergie langfristig eine Renaissance zu bescheren: Noch Anfang April hatte NRWs Vize-Ministerpräsident Andreas Pinkwart (FDP) den von der ehemaligen rot-grünen Bundesregierung durchgesetzten Atomausstieg als „das völlig falsche Signal“ bezeichnet. „Wir führen eine völlig verklemmte Debatte. Wir dürfen Kernkraftwerke als Option nicht ausschließen“, meint Nordrhein-Westfalens Forschungsminister. Selbst Thorium-Hochtemperatur-Reaktoren (THTR) hält Pinkwart für „eine zukunftsweisende Technologie“ – dabei war der bisher bundesweit einzige Atommeiler dieser Bauart im westfälischen Hamm Ende der achtziger Jahre nach einer Pannenserie abgeschaltet worden. Anfang Januar hatte auch die CDU-Landesministerin für Wirtschaft und Energie, Christa Thoben, für die Hochtemperaturtechnik geworben.

Pinkwart und Thoben betrieben eine „irrlichternde Debatte“, halten Atomkraftgegner wie Dirk Jansen vom nordrhein-westfälischen BUND dagegen. „Statt in erneuerbare Energien zu investieren, setzen CDU und FDP auf die Technik von vorgestern.“ So sei das von Atomkraftbefürwortern immer wieder vorgebrachte Klimaschutzargument nichts weiter als „Propaganda der Atomstromkonzerne“, sagt Jansen: „Der Sofortausstieg aus der Atomkraft und die Substitution der klimaschädlichen Kohlekraftwerke sind sehr wohl gleichzeitig möglich.“ Das hätten „diverse Studien“, etwa des renommierten Wuppertal-Institutes, wiederholt nachgewiesen.

Auf völliges Unverständnis trifft der energiepolitische Kurs der Landesregierung auch an den nordrhein-westfälischen Atomstandorten: Pinkwart und Thoben handelten „verantwortungslos“, sagt etwa Horst Blume von der Bürgerinitiative Umweltschutz am THTR-Standort Hamm. Die Landesregierung argumentiere „in Stammtischmanier“ und „wenig weitblickend“, kritisiert auch Felix Ruwe, Sprecher der Initiative Kein Atommüll in Ahaus – schließlich seien die weltweiten Uranvorräte genauso endlich wie die fossilen Energieträger. „Statt der Förderung ungefährlicher regenerativer Energien haben die Ministerinnen und Minister nur kurzfristige Geschäftsinteressen im Kopf.“ Dabei mache der Tschernobyl-Jahrestag selbst hartnäckige Lobbyisten der Atomindustrie sprachlos: „Am Zwischenlager-Standort Ahaus ist zur Zeit kein einziger Atombefürworter aufzutreiben.“

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