: Lässt Recycling die Puppen toxisch tanzen?
INTERVIEWS Unter dem Titel „Talking Fashion. Gespräche über Mode“ lässt der Berliner Journalist Jan Kedves 25 Modemacher zu Wort kommen. Nicht nur das Who’s Who der Branche, auch randständige Figuren
VON BRIGITTE WERNEBURG
„Ich habe gehört, dass man in der Industrie über mich sagt, ich sei toxisch. Das verstehe ich nicht. Wie kann ich toxisch sein, wenn ich Kollektionen aus recycleten Kleidern und organischen Stoffen mache? Ist es giftig, ein soziales Bewusstsein zu haben?“, ereifert sich der mallorquinische Modedesigner Miguel Adrover im Gespräch mit Jan Kedves. „Talking Fashion. Gespräche über Mode“ heißt die Sammlung von Interviews die Kedves, Autor u. a. der Süddeutschen Zeitung, mit bekannten und unbekannten Heroen der Modeszene führte.
Keines der 25 Gespräche aus der Zeit von 2005 bis Juni 2013 beantwortet allerdings Miguel Adrovers Frage. So verdienstvoll Jan Kedves den Modebetrieb auffächert, indem er neben dem Modedesign auch die Fotografie durch Jürgen Teller oder Viviane Sassen, die Illustration durch Jean-Paul Goude, den Film durch Loïc Prigent, das Museum und die Forschung durch Valerie Steele zu Wort kommen lässt – die wirklichen Masters of the Universe bleiben in seiner Kompilation außen vor.
Ein Gespräch mit einem der Vorstände, Aufsichtsräte, Geschäftsführer bzw. kaufmännischen Leiter der großen Modehäuser und führenden Marken wäre das Tüpfelchen auf dem i gewesen. Denn sie sind es ja, die die Puppen tanzen lassen; die entscheiden, wer welches Label als Kreativdirektor führt, womöglich sogar mit – oder doch eher ohne soziales Bewusstsein? Was bedeutet Mode für sie? Mehr als die zweimal jährlich wechselnden Kollektionen nur insofern, als sie das Tempo inzwischen auf sechs Kollektionen erhöht haben? Ist es denkbar, dass auch sie Mode als Kultur, Sprache, Code, Ausdrucksmittel, Leidenschaft und manchmal Kunst verstehen? Das Interview mit Pierre Cardin kann die Leerstelle, die sie in diesem Band bilden, nicht füllen.
Obwohl er als Geschäftsmann nicht weniger berühmt ist denn als Couturier. Deshalb ist er auch Herr im eigenen Haus, das der inzwischen 91-Jährige, wie er 2011 erklärte, für wenigstens eine Milliarde Euro verkaufen möchte. Cardin, der weltweit einzigartig seit 70 Jahren im Modegeschäft tätig ist, hat alle Entwicklung der Branche miterlebt. Viele davon nahm er selbst vorweg: 1959 die Idee der Prêt-à-porter-Mode, dann die Lizenzierungen der Marke, das Geschäft mit den Accessoires und schließlich der Vorstoß in den Bereich des Alltagskonsums und besonders des Wohndesigns, wo nun auch Luxusmarken wie Armani angekommen sind. Hat er Fehler gemacht? „Oh, ja. Ich hätte Plastikuhren machen können, mit Swatch.“
Gagas Kostümbildner
Das Cardin-Interview ist definitiv ein Highlight. Weitere Glanzstücke sind die Gespräche mit Leuten aus dem Mode-Business, die nicht ganz im Zentrum stehen, etwa der 2006 verstorbene legendäre Ballroom-Tänzer Willi Ninja. Er arbeitete als Laufstegtrainer, unter anderem mit Naomi Campbell und erzählt, wie sie einer Drag-Queen ihren „Super Strut“-Schritt abschaute. Fast eine Art Nachruf ist dann das Gespräch mit Zaldy, dem Kostümbildner von Lady Gaga und Beyoncé, über die letzten Bühnenkostüme von Michael Jackson. Herzzerreißend, dass der Superstar nicht mehr in ihnen auftrat. Diane Pernet, die als Bloggerin der ersten Stunde wohl eine der wichtigsten Neuerungen in der Modewelt repräsentiert, sieht ihrerseits die größte Veränderung darin, dass „Geschäftsleute zu den wichtigsten Figuren der Industrie aufgestiegen sind und man sich auf kreatives Marketing konzentriert hat, statt junge Designtalente zu fördern.“
Da ist es umso interessanter, von aufgehenden Sternen wie Damir Doma oder Iris van Herpen zu hören, was oder wer hilfreich war, auf dem Weg nach oben. Bei Raf Simons gebührt dieses Verdienst unbestritten Walter Van Beirendonck, Gründungsfigur der belgischen Modeszene, der bei Kedves ebenfalls zu Wort kommt. Bei Beirendonck war auch der 1972 in Ulm geborene Bernhard Willhelm Praktikant, der Kedves erklärt, wie er mit Accessoires-Kooperationen wie mit Camper oder dem Berliner Brillenmythos Mykita des Fortbestehen seines Ende der neunziger Jahre gegründeten Labels sichert.
Der internationale Modebetrieb, wird bei Kedves deutlich, ist vielgestaltiger und hintergründiger als angenommen. Und er steckt voller guter, überraschend komischer Geschichten, die die Leute aus der Szene dem Interviewer erzählen. Vielleicht weil das dann doch wieder die Laune hebt in einem Geschäft, in dem zu bestehen verdammt schwierig ist. Dass die „Gespräche über Mode“ darüber nicht schweigen, könnte für Miguel Adrover tröstlich sein.
■ Jan Kedves: „Talking Fashion. Von Helmut Lang bis Raf Simons: Gespräche über Mode“. Prestel Verlag, München 2013, 208 Seiten, 24,95 Euro