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Archiv-Artikel

Vatikan lernt Abc

Angeblich will der Vatikan zum Schutz vor einer HIV-Ansteckung den Gebrauch von Kondomen in der Ehe erlauben. Bestätigt hat er die Nachricht allerdings noch nicht. Wieder einmal eine Ente?

VON PHILIPP GESSLER

Afrika ist groß, und Rom ist weit. Nach diesem Motto lässt die ein oder andere Nonne, der ein oder andere Bischof den Papst in Rom einen guten Mann sein – und verteilt unter der Hand Kondome oder verweist darauf, wo man sie bekommt. Sie tun das aus Nächstenliebe. Damit nicht noch mehr von Gottes Geschöpfen in diesen von Aids so schrecklich geschundenen Staaten bald an der Immunschwächekrankheit sterben, wenn sie tun, was ihr Papst in seiner ersten Enzyklika so beredt gefeiert hat, nämlich dem „Eros“ (neben der „Caritas“) zu seinem Recht zu verhelfen – natürlich in der Ehe zwischen Mann und Frau!

Das ist alles längst Praxis – und man kann darüber streiten, ob es eher für oder gegen die katholische Kirche spricht, dass dies eben inoffiziell passiert. Typisch katholisch eben: Man darf fast alles machen, es darf nur nicht auffallen. Insofern sind die neuesten Meldungen aus dem Vatikan schon ein Meilenstein: Der Kurienkardinal Javier Lozano Barragán, ein mexikanischer Herr von 73 Jahren, deutet an, der Vatikan wolle bald zum Schutz vor einer HIV-Ansteckung den Gebrauch von Kondome in der Ehe erlauben (die taz berichtete). Der Kardinal ist nicht irgendwer, er gilt als „Gesundheitsminister“ des katholischen Regierungsapparats. Und die Vatikanologen betonen, dass er so etwas nicht ventilieren würde, wäre da nichts dahinter.

Nun ist Barragán, der sonst als päpstlicher Gesandter die ehrenvolle Arbeit hat, die Feier der Weltkrankentage zu organisieren, nicht der Papst. Und Benedikt XVI. hatte sich noch im Juni vergangenen Jahres ausdrücklich gegen das Benutzen von Kondomen ausgesprochen, ja es scharf verurteilt. Zu denken gibt auch die Tatsache, dass die meist gut informierte Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) vorsichtig anmerkt, es würde sich bei einem möglichen entsprechenden Dokument nur um eine Verlautbarung des vatikanischen Gesundheitsministeriums handeln und der Vatikan selbst habe noch nichts bestätigt. Möglich also, dass dies wieder eine Ente ist, die vor allem nördlich der Alpen für Erregung sorgt.

Immerhin, Barragán erklärt, der Papst selbst habe den Rat für den kirchlichen Krankendienst damit beauftragt, eine entsprechende Erklärung vorzubereiten. Und wenn es denn tatsächlich dazu kommen sollte, ja wenn, dann wäre das wirklich eine kleine Revolution am Tiber. Aufhorchen lässt jedenfalls die Tatsache, dass sich unmittelbar vor Barragán Kardinal Carlo Maria Martini, lange die Papst-Hoffnung der Liberalen in der Kirche, sehr ähnlich äußerte: Kondome als „kleineres Übel“, wenn denn ein Ehepartner mit dem HIV-Virus infiziert sei.

Wenn tatsächlich Papst Benedikt XVI. diese Linie freigäbe, wäre das eine klare Abkehr von den sehr deutlichen Äußerungen seines vor gut einem Jahr verstorbenen Vorgängers Johannes Paul II., dem Benedikt auch postum fast nie widersprochen hat. Eine Freigabe von Kondomen in solch speziellen Fällen (also in der Ehe und bei konkreter Infizierungsgefahr) würde nämlich das so eherne wie überaus seltsame Prinzip des alten Pontifex maximus brechen, dass ein Geschlechtsakt potenziell immer auch die Möglichkeit der Zeugung gewährleisten müsse – wobei allein das technische Vokabular zeigt, was für ein abstruses Denken offenbar hinter vatikanischen Mauern herrscht.

Sicherlich, die Theologie oder Ideologie von Johannes Paul II., das Leben und seine Würde radikal zu schützen von der Zeugung bis zum Tode – dieses Gedankengebäude hatte seine Logik und durchaus auch seine gute Seiten: sei es Karol Wojtyłas Einsatz gegen die Todesstrafe, sei es der gegen den Krieg oder der gegen das Klonen von Embryonen. Und es war Kardinal Joseph Ratzinger, „unser“ Papst, der diese Politik als langjähriger Präfekt der Glaubenskongregation vehement stützte und exekutierte. Gleichzeitig aber war dieser radikaler Ansatz in manchen Punkten von einer eisigen Kälte umweht, wie das eben häufiger bei strenger Logik ist. Und in Sachen Schutz vor Aids durch Kondome war das Anwenden dieser Logik schlicht skandalös, ja menschenverachtend.

Gut also, wenn es hier endlich eine Änderung hin zu mehr Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe gibt. Schon jetzt verfahren katholische Hilfsorganisationen wie Misereor zum Schutz vor Aids in den betroffenen Ländern nach der Abcd-Formel: „abstinence“ (sexuelle Enthaltung), „be faithfull“ (Treue) – und „condom“ (Kondom) für den, der diesen Prinzipien nicht folge. Weil sonst nur „death“ (Tod) bleibt.