: Ein hohes Maß an Verbundenheit
BESUCH AUS ÄGYPTEN Ein blindes Frauenorchester spielt in der Urania – Proteste am Rand des Konzerts
Auf Einladung der ägyptischen Botschaft in Deutschland reisten am Dienstag vierzig blinde Frauen und Mädchen des Orchesters Al Nour Wal Amal (Licht und Hoffnung) aus Kairo an, um in der Urania aufzutreten. Sie spielten über zwanzig Stücke klassischer westlicher und orientalischer Musik, von Mozart über den indischen Komponisten Shankar-Jaikishan bis hin zum ägyptischen Komponisten Abu-Bakr Khairat und viele mehr.
Das Besondere an diesem Ensemble ist die Fähigkeit der Frauen und Mädchen, sich all diese schwierigen Musikstücke nicht nur einzeln, sondern im Rahmen der Interaktion des Orchesters einzuprägen und ohne einen Dirigenten vorzutragen. Jede der Frauen lernt ihren Teil des Stückes mithilfe von Braille auswendig. Dann probt der Dirigent des Orchesters Ali Othman mit verschiedenen Teilen des Ensembles und anschließend mit dem gesamten Orchester. „Die Stücke auf diese Weise zu lernen ist so einfach, dass ich es schwierig finden würde, sie zu spielen, wenn Gott mir eines Tages mein Augenlicht zurückgeben würde und ich Partituren lesen könnte“, meint Shahinaz Salah, eine Kontrabassistin des Orchesters.
Vom Publikum aus kann man Othman hinten in der Ecke der Bühne stehen und seinem Orchester zuschauen sehen, er nickt im Takt, und sobald das Orchester ein Stück zu Ende gespielt hat, verbeugt er sich vor dem Publikum und zählt das nächste Stück für die Musikerinnen an. Mit einem Stück nach dem anderen führt das Kammerorchester die Zuhörer von klassischer westlicher Musik zu der des Orients und zurück. Sie spielen mit solcher Leidenschaft und Präzision, dass man das hohe Maß an Konzentration und Verbundenheit des Orchesters förmlich sehen kann. Das Publikum belohnte den Auftritt mit langanhaltendem Applaus.
Protest auf der Bühne
Doch während der folgenden Dankesrede des ägyptischen Botschafters Mohammed Hegazy sprang ein Mann auf die Bühne, dankte dem Ensemble auf Arabisch und teilte dem Publikum mit, dass er nur zweimal stolz gewesen sei, Ägypter zu sein: während dieses Konzerts und während der Revolution am 25. Januar. In deutscher Sprache fuhr er fort, wie unangebracht er indessen finde, dass ein solches Konzert die Tatsache ausblende, dass erst zwei Tage zuvor über fünfzig Menschen den Tod gefunden hätten. Der Mann wurde jedoch rasch von den Mitarbeitern des Theaters und der Botschaft zum Schweigen gebracht und von der Bühne geführt.
Unmittelbar danach stimmten Teile des Publikums und das Orchester ein mit nationalistischer Rhetorik verbundenes, ägyptisches Volkslied an, und die Menschen verließen verwirrt den Saal.
Vor der Urania hatte sich eine Gruppe von zwölf Demonstranten versammelt, die „Verräter“ und „Nieder mit der Militärdiktatur“ riefen. Sie hielten gelbe Schilder hoch, die die Räumung des Rabaa-Platzes vor etwa zwei Monaten symbolisierten. Organisiert hatte den Protest die ägyptische Arbeitsgruppe „Together for Egypt“ in Berlin. „Als Gastgeber derartiger Veranstaltungen versucht die ägyptische Botschaft der Welt zu zeigen, dass das, was in Ägypten geschehen ist, normal ist und dass die Menschen dort den Militärputsch akzeptieren“, so ein Demonstrant, der anonym bleiben wollte. „Der Botschafter lädt Menschen zu diesem Konzert ein, obwohl am Sonntag bei Zusammenstößen 52 Menschen ums Leben gekommen sind.“
Während einige Zuhörer mit den Demonstranten sympathisierten, reagierten andere aufgebracht. Eine Dame sagte der taz, sie finde dies bei einem Konzert unangebracht, besonders angesichts der hoffnungsvollen und schönen Atmosphäre, die die Frauen untereinander und im Publikum geschaffen hätten.
Eine Erfolgsgeschichte
Tatsächlich war es das dritte Konzert des Ensembles in Deutschland. Es hat Konzerte auf fünf Kontinenten, in vierzehn europäischen Ländern, fünf arabischen Ländern, fünf asiatischen Ländern und sogar in Kanada und Australien gegeben“, erzählt Amal Fikry, die stellvertretende Vorsitzende der Nichtregierungsorganisation Al Nour Wal Amal. Al Nour Wal Amal wurde 1954 von einer Gruppe weiblicher Freiwilliger im Rahmen des Schul- und Lernzentrums für blinde Frauen gegründet. 1961 folgte eine Musikschule, aus der das Kammerorchester hervorging. Die Musikerinnen lernen schon in sehr jungen Jahren Instrumente zu spielen.
„Die Mädchen reisen gerne, weil ihnen im Ausland so viel Wertschätzung entgegengebracht wird, da man dort klassische Musik eher schätzt“, meint Fikry. „Wir können unser Publikum zwar nicht sehen, aber wir können es fühlen“, meint Salah. „Wir spüren, ob sie uns wirklich zuhören.“ ROWAN EL SHIMI
Rowan El Shimi ist Teilnehmerin eines Fortbildungsprogramms des Goethe-Instituts für Kulturjournalisten aus arabischen Ländern und hospitiert zurzeit in der taz.