„Farbe ist nur eine Codierung“

FOTOGRAFIE Die Kieler Stadtgalerie widmet Joachim Thode eine umfangreiche Werkschau. Er hat sein Geld am Theater verdient und seine Leidenschaft in Landschaftsfotos ausgelebt. Ein Farbfilm kommt ihm nicht in die Kamera

Es herrschte Kalter Krieg und wir hatten enorme Angst, dass einer durchdreht

Joachim Thode

VON FRANK KEIL

Joachim Thode ist nicht mehr so gut zu Fuß. „Schade“, sagt er. Aber so ist es nun mal, wenn man alt ist. „Das Erlaufen war wichtig, das Flanieren“, sagt er. Langsam und genau ging er so zu Werke, in der Regel ohne Stativ. Kiel erkundete er, Stadtteile wie Mettenhof, Gaarden, Dietrichsdorf. Landschaften erarbeitete er sich so wie die Eider-Halbinsel oder Nordfriesland bei Dagebüll oder das Wendland. Dass es so kommen würde, war nicht unbedingt vorhersehbar.

Thode, 1942 in Hamburg geboren, studierte von 1965 bis 1971 an der dortigen Hochschule für bildende Künste. Einerseits ist der Anfang schwer: Fotografie gilt keinesfalls als eigenständige Kunstgattung. Andererseits ist vieles im Umbruch. Langsam lösen sich die starren Strukturen der Hochschule auf: „Am Anfang durfte man seine Klasse ja nicht verlassen, nun schlossen sich die Fotografen, die Filmer und die von der Typografie zusammen, was sich hochtrabend ‚Institut für visuelle Kommunikation‘ nannte“, erzählt er.

Kilian Breier, sein Professor, Vertreter der konkreten Fotografie, will von Reportagefotografie und Verwandtem nichts wissen: „Er hatte der Apparatefotografie komplett abgeschworen.“ Also steht man in der Dunkelkammer, experimentiert mit lichtempfindlichen Filmen und Fotopapieren. Für Thode ist das zunächst eine Sackgasse. Er will raus in die Welt, wo ein Baum ein Baum und ein Haus ein Haus ist. Später wird er merken, wie er bei Kilian den perfekten Umgang mit dem Licht gelernt hat, der seine Bilder prägen wird.

Aber zunächst fällt er zum Ende seines Studiums in ein tiefes Loch: „Die Aussicht, nun als Fotograf zum Spiegel oder zum Stern zu gehen, das war nicht mein Ding. Ich wollte künstlerisch arbeiten.“ Auch finanziell ist es eng. Zum Glück meldet sich in jenen Tagen das Kieler Opernhaus in Hamburg und lässt fragen, ob irgendjemand Lust hat, nach Kiel zu kommen, um als Theaterfotograf zu arbeiten.

In Kiel, der viel geschmähten Stadt, wird opernmäßig gerade Neuland beschritten: Es eröffnet die erste Experimentierbühne der Republik. „Hier wurde plötzlich ganz anders inszeniert, es ging um die neue Musik von Kagel und Stockhausen – die waren ja damals noch ganz jung“, sagt Thode. Der künstlerische Aufbruch auf der Bühne findet seine Entsprechung in den Aufgaben, die dem neuen Theaterfotografen gestellt werden: Nicht mehr für den Schaukasten neben dem Eingang soll fotografiert werden, vielmehr werden komplexe Programmhefte und eigenständige Publikationen gefordert.

Thode fotografiert nicht nur, er kann auch gestalten. Und er ist in beidem gut, wird sehr gut, und bald wird man an der Staatsoper in Hamburg auf ihn aufmerksam, wo gerade Christoph von Dohnányi die Pappmachékulissen wegräumen lässt und die Sänger und Sängerinnen dazu bringt, nicht länger perfekt stocksteif zu singen, sondern sich zu bewegen, zu spielen. Fortan pendelt Thode zwischen den Opernhäusern, zwischen Kiel und Hamburg. In Kiel fotografiert er zuletzt unter Kirsten Harms. „Es war eine ganz aufregende Zeit“, sagt er abschließend. Soweit sein Brotberuf.

Obwohl – er setzt eine Pause, lächelt in sich hinein, denn es gebe da durchaus eine Verbindung zwischen seiner Theaterfotografie und seinen Landschaftsbildern als seinem eigenen, künstlerischen Feld: „Wenn ich mich zu Mittag nicht in die Kantine setzte, sondern über den Kieler Rathausplatz ging, dann war es alles irgendwie komisch. Das Theater ging auf andere Weise weiter.“ Denn wann immer er zwischen Theaterproben oder in den spielfreien Zeiten Zeit findet, fährt er raus in die Landschaft.

Joachim Thode lehnt sich zurück, weist mit der rechten Hand weit nach draußen, dorthin, wo Kiel endet: „Hier ist viel Landschaft, die Landschaft war immer da. Bei der Oper, da gibt man sich ganz seinen Emotionen hin, und dann fährt man raus aus der Stadt, rüber nach St. Peter-Ording, wo die Dünen sind und das Meer – ich aber hab’ mir alles dazwischen angeguckt.“ Und so entstehen Bilder von grafisch gepflügten Feldern, von streng gepflasterten Deichanlagen, die abrupt enden; von leeren Parkflächen vor Hochhausgebirgen. Sorgsam gepinselte Abbiegespuren auf Landstraßen treffen auf Bushaltestellen auf dem Lande.

Auffällig: Auf seinen Landschaftsbildern gibt es keine Menschen. „Die sind ja alle weg“, lacht Thode. Jemand habe mal gesagt, er mache Tatortfotos von der Landschaft. Das gefällt ihm heute noch. „Anonyme Landschaften“ lautete entsprechend der Titel einer seiner damaligen Ausstellungen.

Es gibt dazu aber auch einen ernsten Hintergrund: „Als ich seinerzeit unterwegs war, gab es den Nato-Doppelbeschluss, es herrschte Kalter Krieg und wir hatten enorme Angst, dass einer von denen durchdreht und alles hier pulverisiert.“ Er sagt: „Damals wurden Atomkraftwerke noch gebaut und nicht abgeschaltet.“ Dieses Gefühl der Bedrohung bei gleichzeitigem gesellschaftlichem Stillstand findet sich immer wieder bei Thodes Bildern wieder – nicht nur, wenn er dokumentiert, wie brachial man in die Landschaft hineingeschlagen hat, um die innerdeutsche Grenze oder das Bohrloch bei Gorleben zu sichern. Er sagt: „Die Fotografie ästhetisiert schnell, da muss man immer ein bisschen aufpassen.“

Er hat aufgepasst, entsprechend sind seine Landschaftsstrukturbilder weit entfernt von jeglicher hemdsärmeliger Landsehnsucht der Städter, die nicht wahrhaben wollen, dass sie da durch perfekt rationalisierte Industrieflächen radeln. Daneben gibt es die Bilder von seltsamen Aufschüttungen, von unerklärlichen Hügeln, von Landschaftsresten. „Ich habe versucht das festzuhalten, was die Landschaftsgestalter übrig ließen. Die bauten etwa ein Stück Autobahn, perfekt mit all den Kurven und Geraden. Aber links und rechts, wo sie den Bausand einfach liegen ließen, da bin ich hin.“

Und all diese Jahre und bis heute ist er bei Schwarz-Weiß geblieben. Ein Farbfilm kommt ihm nicht in die Kamera. „Wissen Sie“, sagt er, „Farbe ist nur eine Codierung.“ Er sagt: „Das Gras muss grün sein, der Himmel blau – das hat mich immer gestört, weil es ablenkt.“ Er sagt: „Schwarz-weiß ist eine zusätzliche Abstraktion, die wichtig ist.“

Und auch die digitale Fotografie wird ohne ihn auskommen müssen: „Wissen Sie, ich bin ja auch ohne Fernseher aufgewachsen.“ Er meint damit keinesfalls nur seine Kindheits- und Jugendjahre: „Durch die Oper, das Theater habe ich das Lebendige auf der Bühne gehabt.“ So steht er weiterhin in der Dunkelkammer, entwickelt, stoppt, fixiert, wässert und trocknet. Er sagt: „Ich habe immer Tag und Nacht gearbeitet. Ich hatte einfach Freude daran.“

Die Ausstellung „Fassade und Landschaft“ endet am 24. November. Zu sehen sind auch Fotografien des Rügener Fotografen Lutz Grünke.