: Bloß kein Pseudo-Chelsea!
Leistungsschau des Galerien-Standorts Berlin: 24 Kunstvermittler haben sich zusammengetan, um das Interesse für die Arbeit vor Ort zu schärfen. Von Freitag bis Sonntag gibt es Sonderinstallationen und Zeit für Hintergrundgespräche
Jeder Mensch ist ein Galerist: Bei einem Spaziergang durch die Stadt jedenfalls entdeckt man hinter den Schaufenstern statt Mode oder Möbel ständig – Kunst. Es muss was dran sein an dem Job. „Abwechslungsreiche Aufgabe mit vielen Reisen und Freunden, verteilt um den ganzen Globus“, spöttelt Esther Schipper im Stil einer Kleinanzeige, um dann trocken zu konstatieren, man komme wirklich weit herum, lande an den skurrilsten Orten und in den komischsten Situationen und lerne die extremsten Seiten des menschliches Charakters kennen. Doch der Reiz liege vor allem darin, dass hier die direkteste und aktivste Arbeit mit Künstlern stattfinde und sich engste Verbindungen entwickelten.
Esther Schipper, die im Moment Thomas Demand zeigt, gründete 1989 in Köln ihre Galerie. Nur wenig später, Mitte der 90er-Jahre, stellte sie mit ihrem damaligen Partner Michael Krome auch einzelne Projekte in Berlin vor. Das erste war Paul McCarthys „Pinocchio Pipenose Household Dilemma“ (1994), und „alle Leute sagten, das kannst du in Berlin nicht machen, da gibt es keine Karnevalstradition, die Leute werden sich nicht verkleiden – man musste sich ja dieses Pinocchio-Kostüm anziehen und erst dann durfte man sich das Video im anderen Raum anschauen. Aber das Publikum war begeistert. Ja klar, niemand fragte nach dem Preis. Aber die Leute kamen in die Galerie, schauten sich das an, nahmen den Text mit, und am nächsten Tag kamen sie wieder, hatten alles gelesen und stellten unglaublich strenge Fragen.“
Ungefähr so soll es wieder ablaufen. Das wünschen sich die 24 Kunstvermittler, die sich zusammengetan haben, um dieses Jahr erneut ein Wochenende zu organisieren, das die Galeriearbeit in den Mittelpunkt stellt. Von Freitag bis Sonntag soll das auswärtige wie einheimische Kunstpublikum seinen durch Messen, Auktionen, Großausstellungen und Biennalen bestimmten Kalender vergessen und stattdessen mehr über die vor Ort geleistete Arbeit erfahren.
Esther Schipper, die zum Kreis der Ausrichter gehört, lädt am Sonntag gemeinsam mit Matti Braun zu dessen performativem Vortrag in die Volksbühne ein. Auch andere der beteiligten Galerien organisieren solche Sonderprogramme mit Performances, Special Screenings oder temporären Installationen. Olafur Eliasson, den die Galerie neugerriemschneider vertritt, wird etwa im Zeiss-Großplanetarium verschiedene Versuchsanordnungen zur Natur des Sehens projizieren. Trotzdem, der wahre Luxus dieses Wochenendes liegt in der Zeit, die allen Beteiligten für intensive Gespräche zur Verfügung steht.
Berlin soll also schon „das bleiben, was es im Moment ist, und nicht zu einem Pseudo- Chelsea werden“, wie Johann König sagt. Dabei setzt gerade er jetzt das Signal, „dass man hier auf demselben Level arbeiten kann wie eine New Yorker Galerie“. Die Eröffnung seines neuen Standorts in der Dessauer Straße ist ein weiteres Highlight dieses Wochenendes. Über das Internet fand der Sohn von Kaspar König eine Halle, „die mit ihren unglaublichen Oberlichtern ausschaut, als ob sie schon für den Ausstellungsbetrieb geplant worden wäre. So einen Raum gibt es kein zweites Mal. Das hat uns auch zu der riskanten, übermütigen Investition bewegt.“
Nur vier Jahre nach seinem Start als Galerist verändert sich Johann König von 75 auf 570 Quadratmeter: „Wir bauen damit in die Zukunft der Galerie, sie ist noch gar nicht so groß und muss da erst noch hineinwachsen.“ Er vertraut in die Attraktivität der vor Ort geleisteten Ausstellungstätigkeit. Auch er gehört zum Kreis der Ausrichter. Bis 2004, sagt König, habe er immer nur in Miami, Basel oder New York verkauft, nie in der Galerie. Doch jetzt will er seine Messeaktivitäten reduzieren und die Sammler dazu bringen, sich auf Berlin einzulassen. Sie sollen erkennen, dass er eben hier seinen Ehrgeiz verwirklicht, seine Künstler, etwa Jeppe Hein, Michael Seilsdorfer oder Johannes Wohnseifer, in wirklich anspruchsvollen Ausstellungen vorzustellen.
Natürlich ist nicht jeder Mensch ein Galerist. Auch nicht jeder Galerist ist einer. Aber ganz schön viele sind es in Berlin schon. Nicht zuletzt dem entsprechenden Konkurrenzdruck verdankt sich das hohe Niveau, auf dem sie arbeiten – und auch zusammenarbeiten, denn nur so lassen sich die notwendigen Synergieeffekte generieren. Darüber lässt sich nun an diesem Wochenende hinter den Schaufenstern sehr viel mehr erfahren.
BRIGITTE WERNEBURG