Das machen wir für einen Euro

„Ich hätte verstanden, wenn ich für das Geld den Park harken soll. Aber Schauspielunterricht geben? Diese Arbeit ist mehr wert“

Er geht oft in den Buchladen bei sich an der Ecke. „Zu Recherchezwecken“, wie er sagt. Da sucht er dann nach Neuerscheinungen – momentan zum Beispiel will er alles über Globalisierung wissen. Hat er schließlich gefunden, was er braucht, notiert sich Lothar Garcier, 42, Autor und Titel. Er hofft, dass seine Bibliothek das eine oder andere Buch angekauft hat, damit er es dort leihen kann. Denn kaufen kann der Leipziger sich kein Buch, seit fünf Jahren ist er arbeitslos.

Dabei gehört Lothar Garcier nicht zu jenen Langzeitarbeitslosen, die schlecht ausgebildet oder wenig flexibel sind. Er hat drei Hochschulabschlüsse: als Ethnologe, als Lehrer und als Dolmetscher für Koreanisch, Russisch und Englisch. „Sehr exotisch, ich weiß“, räumt er ein, „aber genau deshalb bekomme ich jetzt ja auch keinen Job.“

Als er nach der Wende seine Stelle als Deutschlehrer für Ausländer in Leipzig verlor, ging er für einige Zeit als Dozent nach Korea. Vor sieben Jahren kam er zurück, und seitdem hat es mit einer Festanstellung nicht mehr geklappt. Statt dessen hat das Arbeitsamt ihn jede Menge Fortbildungen machen lassen: Internet, Mediendesign, Büroorganisation, Finanzbuchhaltung. „Ich bin so gut ausgebildet, ich könnte sofort in fast jeden Job einsteigen“, sagt Lothar Garcier.

Gerade hat er einen bekommen – einen 1-Euro-Job in einem Antirassismusprojekt. Seine Stellenbeschreibung vom Arbeitsamt ist eine Seite lang, sie lässt sich im Grunde mit einem Wort zusammenfassen: Mediator. Vormittags ist er in Schulen unterwegs, nachmittags in einem Jugendklub. Der Leipziger hat einen geregelten Arbeitstag von neun bis fünf Uhr und bekommt dafür 160 Euro zusätzlich zum Hartz-IV-Satz. „Das ist wirklich wenig für diese anspruchsvolle Arbeit“, meint er. Unter anderem zahlt er von dem Geld aus dem 1-Euro-Job auch 75 Euro Unterhalt für seinen Sohn, der bei seiner geschiedenen Frau lebt. Garcier will für den Jungen zahlen, obwohl er das als Arbeitslosengeld-II-Empfänger nicht müsste.

Garcier hat die Stelle über das Jobcenter der Arbeitsagentur vermittelt bekommen. Er ist einer von 400.000 Akademikern in 1-Euro-Jobs. Für die Zeit der „Maßnahme“ ist er nicht arbeitslos gemeldet, bekommt aber weiter ALG II und ist darüber kranken- und rentenversichert. Diese Kosten tragen die öffentlichen Kassen, sein Arbeitgeber auf Zeit hat keine finanziellen Aufwendungen, dafür aber eine gut ausgebildete, kostenlose Arbeitskraft.

Derlei Feinheiten sind Lothar Garcier aber egal. Hauptsache Arbeit!

Im Jobcenter wurde ihm schon Hoffnung gemacht, dass er es über den 1-Euro-Job in den ersten Arbeitsmarkt schaffen könnte. Doch da hofft Lothar Garcier umsonst: Die „Maßnahme“ läuft nur zehn Monate. Danach heißt es auf jeden Fall wieder Arbeitsamt, denn um Anspruch auf Arbeitslosengeld I zu haben, müssten es zwölf Monate sein. Trotzdem ist er froh, den Job zu haben. „Er ist meine einzige Verbindung zur Normalität.“SIMONE SCHMOLLACK

Gerade war sie aufgewacht, da klingelte das Telefon. „Wir haben Arbeit für Sie“, sagte die Dame vom Jobcenter Berlin freudig. „Und nicht irgendeine, sondern absolut die richtige für Sie als Schauspielerin.“ Claudia Schmitt [*], 31, war noch etwas benommen und fragte nicht weiter nach, was es denn sei. Eine Festanstellung am Theater schien ausgeschlossen – alles andere konnte sie sich nicht vorstellen.

Erwartungsvoll saß sie am nächsten Morgen auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch ihrer betreuenden Sachbearbeiterin. Seit zwei Jahren ist Schmitt arbeitslos. Im Gegensatz zu ihren meisten KollegInnen, die Freiberufler sind, hatte die allein erziehende Mutter einer vierjährigen Tochter keine Lust auf solch unstetes Wanderleben und ging deshalb 2005 zum Arbeitsamt. Wohl fühlte sie sich dabei nicht, auch weil sie von einigen KollegInnen belächelt wurde – wahre Kunst brauche schließlich keine staatlichen Almosen.

Während Claudia Schmitt das erzählt, lässt sie das Geschirrtuch von einer Hand in die andere gleiten. Tassen und Teller stapeln sich neben ihr auf dem großen Tisch, die 31-Jährige arbeitet einige Tage im Monat als Abwäscherin in einem Restaurant. Schwarz. Sie braucht das Geld. Aber sie tut es auch, wie sie sagt, um soziale Kontakte zu haben. „Zu Hause würde mir die Decke auf den Kopf fallen.“

Das Angebot vom Arbeitsamt habe sie trotzdem nicht annehmen können. „Sie werden ab nächsten Monat Kinder in Schauspiel und Artistik ausbilden“, hatte die Sachbearbeiterin gesagt. Am Nachmittag, in einem Verein, der sich in der Berliner Kinder- und Jugendarbeit einen guten Namen gemacht hat. Claudia Schmitt war irritiert, sie schwieg. „Das können Sie doch, oder?“, ließ sich die Dame nicht beirren: „Hauptsache Arbeit!“

„Diese Arbeit mache ich auf keinen Fall“, antwortete Schmitt. Die Vermittlerin gab ungläubig zurück: „Das ist doch ein Traumjob, so etwas haben wir in zehn Jahren nur ein Mal anzubieten!“

Für Claudia Schmitt war das Angebot eher ein Alptraum. Denn genau diesen Job in genau diesem Verein hatte sie vor vier Jahren nach Ende ihres Schauspielstudiums schon gehabt. Damals war sie befristet beim Verein angestellt und erhielt ein normales Gehalt. Und jetzt sollte sie diese Arbeit als 1-Euro-Job machen?

Schmitt räumt Geschirr in die Spülmaschine, füllt Reinigungsmittel nach. „Es ist nicht so, dass ich mich gegen 1-Euro-Jobs als solche wehre“, sagt sie. „Ich hätte verstanden, wenn ich für das Geld den Park harken soll. Aber Schauspielunterricht geben?“ Sie hat da einen klaren Standpunkt: „Diese Arbeit ist mehr wert.“

Das Jobcenter hat nun gedroht, ihr das Arbeitslosengeld II zu kürzen. Seit wann entscheiden die Betroffenen, welche Arbeit wie bewertet wird, so die Argumentation der Sachbearbeiterin. Noch bekommt Claudia Schmitt den üblichen Satz. SIS[*] Name geändert

Kurz nach dem Studium passierte es, da brach die Krankheit aus, die Markus Kirchdörfer aus der Bahn warf. Er war 32 Jahre alt und eigentlich voller Hoffnung. Das Diplom hatte er in der Tasche, nun sollte es richtig losgehen. Doch es ging nicht los, der Geophysiker erkrankte an Neurodermitis, das Leiden griff tief in seinen Alltag ein. Das Jucken am ganzen Körper, Arzttermine und lange Krankenhausaufenthalte machten es ihm unmöglich, sich einen regulären Job zu suchen. An manchen Tagen konnte er nicht einmal laufen. Vor sechs Jahren meldete sich der Saarbrücker schließlich arbeitslos.

Markus Kirchdörfer, 39, macht es verrückt, von der Neurodermitis bestimmt zu werden. „Ich kann nicht mal ein paar Wochen vorausplanen“, sagt er. Er lebt allein, eine Beziehung ist mit dieser Krankheit schwer zu führen. Immerhin hat er die Neurodermitis inzwischen so im Griff, dass er es in drei bis vier Stunden schafft, sich seine spezielle Nahrung zuzubereiten und den gesamten Körper einzusalben. Das muss er tun, um zu funktionieren. Und das will er. Denn Markus Kirchdörfer will arbeiten.

„Intellektuell fühle ich mich nicht ausgelastet, aber praktisch gesehen ist dieser Job für mich eine Art Resozialisierung“

Er hat nach einem Job gesucht, den er trotz Krankheit machen kann. Nichts Großartiges, nur etwas, das ihn einigermaßen ausfüllt. Er hat gesucht und tatsächlich etwas gefunden: An der Universität Saarbrücken muss der Buchbestand des naturwissenschaftlichen Bereichs neu sortiert und mit aktuellen Signaturen versehen werden. Das ist mein Job, sagte sich Markus Kirchdörfer. Dass es ein 1-Euro-Job ist – egal! Hauptsache Arbeit.

Vermittelt hat ihn die Taylorix-Beschäftigungsgesellschaft Saarbrücken (ti). Seit es 1-Euro-Jobs gibt, bietet die ti solche Beschäftigungsverhältnisse auch Akademikern an. Anfangs war das eher die Ausnahme, inzwischen ziehen immer mehr Vermittlungsstellen nach. Die Nachfrage steigt.

Seit Februar arbeitet Markus Kirchdörfer nun in der Bibliothek, seine Arbeit wird anerkannt. Seine gute Ausbildung kommt ihm dabei zugute. Er erkennt, welches Buch zu welchem gehört, er eröffnet Untergruppen und Teilbereiche. Seine Chefin hat das schnell erkannt und will nun die „Maßnahme“ von Markus Kirchdörfer von sechs auf zwölf Monate verlängern. In Ausnahmefällen gibt die ti dafür ihre Zustimmung. Normalerweise setzt sie auf das Rotationsprinzip, um so viele Menschen wie möglich in befristete 1-Euro-Jobs zu bringen.

„Intellektuell fühle ich mich damit nicht ausgelastet“, sagt Markus Kirchdörfer, „aber praktisch gesehen ist dieser Job für mich eine Art Resozialisierung. Wie für die meisten Langzeitarbeitslosen.“

Eigentlich müsste er 30 Stunden pro Woche arbeiten. Wegen seiner Krankheit hat er aber mit 15 Stunden angefangen, im Moment ist er bei 20, demnächst sollen daraus 30 Stunden werden. „Mein Ziel ist, so normal wie möglich zu arbeiten.“ Bezahlt bekommt er nur die Zeit, die er tatsächlich leistet – Stundensatz: ein Euro. SIS