Tod der Kritiker

Reza Hajatpour erzählt in seinem Lebensbericht, wie er im Iran zum Mullah werden wollte. Doch schon bald kamen ihm Zweifel

Einen eindrucksvollen Erlebnisbericht der ersten Jahre nach der iranischen Revolution von 1979 hat Reza Hajatpour vorgelegt. Der Iraner entschloss sich einige Jahre vor der Revolution, Mullah zu werden. Gegen den Willen seiner Eltern ging er nach Ghom, ins theologische Zentrum Irans, und nahm ein Studium der koranischen Wissenschaften auf.

Der Leser erfährt viele Details über diesen sehr ungewöhnlichen Ausbildungsweg. Die Studenten suchen sich ihre Lehrer selbst aus und leben dann in deren Hochschule. Meist werden sie von ihren Lehrern finanziert. Auf dem Stundenplan steht das Studium der arabischen Grammatik, des islamischem Rechts und vor allem der Rhetorik, um sie auf ihre spätere Rolle als Prediger vorzubereiten.

Zuerst ist der junge Mullah begeistert von dem Lebensweg, den einzuschlagen er beschlossen hat. Doch langsam stellen sich Zweifel ein – aus zwei Gründen: Er zweifelt an der Festigkeit seines Glaubens und hinterfragt die Religion an sich. Damit durchlebt er einen alten Konflikt der islamischen Geistesgeschichte. „Tod den Philosophen“, hat man in dieser Religion schon immer gerufen, wenn einer seine Skepsis gegenüber der Heiligkeit bestimmter Dogmen äußerte.

Schlimmer zu schaffen machen ihm jedoch die Zweifel an der Integrität seines Berufsstandes. Wie die Geistlichen ihre Kritiker ausmerzen. Wie sie die Gesellschaft unterdrücken. Hajatpour fragt sich: Warum nur können Geistliche, denen es als schwere Sünde gilt, eine Ameise zu töten, zu so skrupellosen Mördern werden, wenn es um Macht geht? „Eine Revolution, die ursprünglich einen Diktator beseitigt hatte, wurde selbst zur Diktatur, mit einem neuen Namen. Die Herrschaft der religiösen Autorität setzte sich die Krone eines Diktators auf. Man erlebte eine erbarmungslose Gewalt.“

Hajatpour wird vor den „Sondergerichtshof für Geistliche“ gestellt, eine Institution, die Kritiker aus den Reihen der Geistlichkeit aburteilt. Er schafft es, dem Tribunal zu beweisen, dass er glaubenstreu und kein Feind der Islamischen Republik ist. Doch seine Zweifel wachsen immer mehr. Schließlich verlässt er seine Frau und seine Kinder und geht nach Deutschland, wo er heute an der Universität Bamberg Islamwissenschaften lehrt.

Gerade weil der Bericht für ein deutsches Publikum so spannend ist, ärgert man sich, wie der Suhrkamp Verlag mit dem Buch umgegangen ist. Anscheinend hat er das Lektorat abgeschafft. Man kann von einem Ausländer, der mit dreißig Jahren angefangen hat, Deutsch zu lernen, keine literarische Glanzleistung erwarten.

Aber man kann von einem Lektorat verlangen, dass es Sätze wie: „Der Tod blieb das einzige Geschenk des Schahs an sein Volk. Dieser Sommer kostete viele Menschen das Leben, niedergemetzelt in ihrem Verlangen nach Recht und Freiheit“, nicht zulässt. Das ist orientalischer Pathos, der sich im Deutschen lächerlich anhört. Und das hätte einem Lektor auffallen müssen.

KATAJUN AMIRPUR

Reza Hajatpour: „Der brennende Geschmack der Freiheit. Mein Leben als junger Mullah im Iran“. edition suhrkamp, Frankfurt am Main 2005, 228 Seiten, 10 Euro