: Ein Lob der Concierge
HIPPEN EMPFIEHLT In „Die Eleganz der Madame Michel“ von Mona Achache wird der altgedienten französischen Hausmeisterin ein liebevoll-subtiles Denkmal gesetzt
Von Wilfried Hippen
Eigentlich sollten auch Berufe unter Denkmalsschutz gestellt werden. In Frankreich ist etwa die Concierge inzwischen so gut wie ausgestorben. Wo früher ein Besucher am Eingang von der allgegenwärtigen Haushüterin eingelassen werden musste, sorgen jetzt elektronische Türöffner mit geheimen Zahlencodes für die vermeintliche Sicherheit der Hausbewohner. Solch eine Lohnkraft mit äußerst diffusen Arbeitszeiten kann und will sich kaum ein Hauseigentümer noch leisten, und als Berufswunsch für französische Frauen wird diese undankbare Dienstleistung wohl auch kaum noch geäußert. Dabei gehört die Concierge, gerade weil sie meist nicht als guter sondern eher als böser Geist des Hauses beschrieben wird, zum nationalen Kulturgut der Grande Nation. Kaum ein in Paris angesiedelter Roman des 19. und frühen 20. Jahrhunderts kommt ohne die ewig schlechtgelaunte, dafür aber klatschsüchtige Aufpasserin aus. Simenons Kommissar Maigret holte sich meist zuerst bei ihr seine Informationen, und der französische Film zementierte das Klischee endgültig mit all den ungepflegten Schreckschrauben, die solch einen wirkungsvollen Kontrast zu den eleganten Hauptfiguren schufen.
Genau diesem Bild entspricht Madame Michel, wenn der Film sie zum ersten Mal in ihrer dunklen Bedienstetenwohnung zeigt. Sie gibt sich abweisend, versucht so unsichtbar wie möglich zu sein, und so haben die meisten Bewohner des von ihr bewachten luxuriösen Hauses sie noch nie als Menschen, sondern immer nur als Funktionsträgerin gesehen. Dies ändert sich zuerst dadurch, dass in einer der Familien dieser extrem reichen Nachbarschaft die elfjährige Paloma damit beginnt, ein Videotagebuch zu führen. Der Film beginnt als das Drama dieses begabten Kindes, und in den ersten Minuten lassen die eingeschnittenen Einstellungen ihrer Amateurkamera auch Schlimmes vermuten. Doch zum Glück erweitert sich bald die Perspektive des Films, nachdem deutlich wird, dass das intelligente Mädchen von dem oberflächlichen Luxusleben ihrer Eltern und Schwester so angewidert ist, dass es sich umbringen will, wenn es nicht in einem genau bemessenen Zeitraum noch einen Sinn für das Weiterleben findet.
Zwei Menschen in ihrer Nachbarschaft sind Rätsel für sie: ein neu eingezogener Japaner mit dem cineastischen Nachnamen Ozu – und eben die Concierge Michel. Diese pflegt die geheime Leidenschaft des Lesens und hat ein verborgenes Hinterzimmer bis unter die Decke mit Büchern vollgestopft. In Ozu erkennt sie einen Seelenverwandten, als dieser in einem Gespräch ihr Zitat von Leo Tolstoi in bestem Französisch zu Ende führt. Ihr literarischer und cineastischer Geschmack (natürlich sehen sie sich zusammen einen Film von Yasujiro Ozu an) führt sie zusammen, und so beginnt eine zögerliche, sehr kultivierte Romanze, die Paloma mit zunehmender Faszination und Rührung beobachtet. Sie durchschaut, dass Madame Michel bewusst die Rolle der Concierge spielt und sich so eingeigelt hat, um einen Freiraum für ihre bescheidenen Freuden zu finden. Der französische Bestseller von Muriel Barbery, auf dem der Film basiert, bringt dies mit seinem Titel „Die Eleganz des Igels“ auf den Punkt.
Die Regisseurin Mona Achache konzentriert sich ganz auf die drei Hauptdarsteller. Dabei wirkt Garance Le Guillermic als Paloma in einigen Momenten dann doch ein wenig zu altklug und Togo Igawa bleibt im Grunde die Sehnsuchtsfantasie eines sanften, exotischen und reichen Liebhabers. Den Film trägt Josiane Balasko in der Rolle der außen ruppigen und innen weichen Concierge. So ist der Film auch eine Wiedergutmachung für all die uneleganten Hausdrachen.