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Archiv-Artikel

Eine Stunde im Strandkorb

Der Verein Lichtblick organisiert ehrenamtliche Besuche bei einsamen SeniorInnen. Ebba Neumann ist eine der Freiwilligen. Sie mag die Geschichten der 89-jährigen Irma Herwig. Eigentlich sind die beiden schon längst alte Bekannte

Irma Herwig kann sich das Appartement in einem der gehobeneren Altenheime leisten. Allein war sie dort trotzdem

von Mathias Becker

Es ist Dienstag 16.15 Uhr, als Ebba Neumann die Klingel zu Irma Herwigs Appartement drückt. Eine Viertelstunde zu spät. Seit zweieinhalb Jahren steht die ehemalige Lehrerin dienstags um Punkt vier im Altenheim vor der Zimmertür der 89-Jährigen. Doch an diesem Tag musste sie erst noch mit der interessierten Presse reden.

Neumann ist eine von 44 Aktiven im Verein „Lichtblick“, der seit Februar 2002 Engagierte und Einsame zusammenbringt. Rund 100 SeniorInnen betreut der Verein mittlerweile. „Alle reden immer davon, wie mobil die Generation 65plus doch sei“, meint Vorsitzender Heiko Stövhase. „Oft wird dabei vergessen, dass es sehr viele alte Menschen gibt, die überhaupt keine sozialen Kontakte mehr haben.“

Der pensionierte Ingenieur las schon vor der Gründung des Vereins als Laienprediger in Altenheimen. Und lernte so Menschen kennen, die ehrenamtlich Senioren besuchen. Gemeinsam entwarfen sie die Idee, ihre Aktivitäten unter dem Dach eines Vereins zu verstärken. Das Projekt gewann prompt einen Preis beim bundesweiten Wettbewerb „startsocial“ – als besonderes Engagement von Bürgern für Bürger. „Lichtblick“ war gegründet.

Heute hat der Verein 52 Mitglieder, die jüngsten Mitte 30, und arbeitet mit Altenheimen und Seniorenberatungsstellen in ganz Hamburg zusammen. „Wir bekommen laufend Anfragen, und können leider nicht mehr allen nachkommen“, so Stövhase. Es fehle einfach an Freiwilligen. Dabei seien die anfänglichen Bedenken der Ehrenamtler in den meisten Fällen unbegründet. „Bevor wir jemanden ins Altenheim schicken, prüfen wir, ob Besucherin und Seniorin zusammenpassen“, erklärt er. Zudem biete der Verein Schulungen an, auf denen die Aktiven mehr über die Lebenssituation alter Menschen und den Umgang mit ihnen erfahren. „Und wenn es doch mal Probleme gibt, reagieren wir natürlich.“ Doch die meisten alten Menschen zeigten sich ihren Ehrenamtlichen gegenüber sehr dankbar. Und bei Demenzkranken kommen die Besucher zu zweit oder dritt und bringen oftmals noch einen Hund mit. Denn erstaunlicherweise bringen gerade die Tiere noch die verschlossensten Menschen dazu, mit ihrer Umwelt zu kommunizieren – und sei es nur ein Streicheln über das Fell.

Über einen Mangel an Gesprächigkeit kann Besucherin Neumann sich bei Irma Herwig nicht beschweren: Seit Jahren ergeben sich die Themen der beiden Damen von selbst: Geschichten aus dem eigenen Leben, Dinge, die in der Welt passieren. „Ich bin es gewohnt, zu sagen, was ich denke“, erzählt Herwig, die kurz nach ihrer Pensionierung selbst alte Menschen für das Deutsche Sozialwerk besuchte.

„Damals habe ich nie gedacht, dass ich selbst mal in so eine Lage kommen könnte“, erinnert sie sich. „An sowas denkt man auch nicht“, weiß Neumann. Für die 67-Jährige ist es eher zu einer schönen Gewohnheit geworden, Irma Herwig wöchentlich für eine Stunde zu besuchen und ihren Geschichten aus einer Zeit zu lauschen, die sie kaum kennt, weil sie sie selbst gar nicht, oder nur als Kind erlebt hat.

Für Herwig ist es vielleicht etwas mehr: Die viertelstündige Verspätung hat sie jedenfalls genau registriert, wie sie beiläufig bemerkt. Nicht im Zorn, sondern eher aus Sorge. Denn zum Plaudern hat sie sonst nicht viele Menschen. Zwar kann sich die ehemalige Boutique-Inhaberin einen Lebensabend in einem der gehobeneren Heime leisten, die Zimmer sind nett eingerichtet, es gibt ausreichend Pflegepersonal und einmal in der Woche kommt ein Physiotherapeut vorbei. Allein war sie trotzdem meistens. Wie so viele Menschen in ihrem Alter. Und so wandte sie sich an die Heimleitung, die wiederum bei Lichtblick anfragte. Mit Erfolg. Heute sind Freu Neumann und Frau Herwig so etwas wie gute Bekannte.

„Wenn schönes Wetter ist, schiebt sie mich raus in den Park. Da legen wir uns dann in die Strandkörbe, sie liest mir aus der Zeitung vor, und wir reden über dies und das“, erzählt Herwig voller Freude, und kann sich – bei aller Disziplin, die sie bis ins hohe Alter bewahrt hat – ein paar Tränen nicht verkneifen: „Wenn Frau Neumann nicht mehr käme, das wäre ein Riesenverlust für mich.“

Lichtblick Hamburg e.V., www.lichtblick-hamburg-ev.de, Telefon 040/49 38 51