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Archiv-Artikel

Sparen ist Schande

Je teurer, desto glücklicher – Shoppen im Moskau der Superreichen. Im Shoppingcenter Mega beispielsweise ist alles zu haben: von Luxuskarossen über Datschazubehör bis zu Geschenkartikeln wie sündhaft teuren Federhaltern

von KLAUS-HELGE DONATH

Vera wird umgarnt. Die junge Frau ist die einzige Kundin beim Kinderausstatter Daniel in Downtown Moskau. Dem seriösen Verkäufer im Maßanzug fällt es nicht leicht, die assoziative Sprunghaftigkeit der Kundin adäquat zu parieren. Er gibt sein Bestes. Am Ende liegen ein paar Kleinigkeiten für das Neugeborene im Körbchen. 3.000 Euro kostet der Spaß. Eine Strampelhose für 250 Euro, eine Mütze, Leinenschühchen und noch einige kleinere Accessoires. Den von 5.000 auf 2.500 Euro herabgesetzten Overall nahm Vera nach reiflicher Überlegung wieder aus dem Korb.

Die Daniel-Filiale im Zentrum ist wiederhergerichtet im „Stil modern“, dem russischen Jugendstil. Die Kindersachen liegen hinter Säulen, in Erkern und Apsen, ausgestellt wie museale Kleinode. Letzter Schrei ist die Kindermode der 20er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Geschichtsverklärung und russische Petrodollars gehen darin eine hochwertige Mischung ein. Gelegentlich werde ihr schon schwindelig bei den Preisen, meint die hoch gewachsene 30-Jährige. Ein Faible für Markenartikel hatte sie schon immer. Früher kaufte sie auf Märkten Imitate, inzwischen greift sie nach dem Original. Eine aufreibende Suche nach dem richtigen Mann sei dem vorausgegangen, lacht Vera, die aus einfachen Verhältnissen stammt. Letztes Jahr klappte es: Ein Millionär ging ins Netz. „Kein Superreicher“, aber sie sei zufrieden, sagt sie bescheiden. Die Lebensversicherung, das Baby, kam gleich hinterher.

In der Stoleschnikow-Gasse im Moskauer Zentrum, unweit des hauptstädtischen Boulevards-Twerskaja, reiht sich ein Markenhersteller an den nächsten. Hermes, Piaget, Cartier, Westwood, Salvatore Bersari, Chaumont, Cavallieri, Pepe di Firenze. Hier vertreibt sich Vera die Nachmittage. In Berlutis Schuhparadies werden auch Männer schwach. Ab 1.000 Euro schlüpft der Kunde in eine neue Identität. Schon Thomas Mann wusste: Auf die Schuhe kommt es an. Um die Seele seines Gegenübers zu lesen, schaute der Hanseat zuerst auf dessen Schuhe und will sich nie getäuscht haben.

Die Welt der Wohlhabenden in Ost und West unterscheidet sich, auch wenn sich die Begehrlichkeiten ähneln. Sicherheit ist im Osten für kein Geld der Welt zu haben, und auch das Schicksal lässt sich nicht domestizieren. Generationen haben diese Erfahrungen gemacht, mit der Politik, der Bürokratie und der Rechtsunsicherheit. Daher neigt ein Russe zum Geldausgeben und Genießen, Prassen und Protzen. Wer weiß schon, was morgen ist? Ein dionysisches Wesen, vernunftfremd wie Nietzsches Naturmensch, bevölkert die russischen Weiten, könnte man meinen. Luxushersteller sind von dieser Spezies begeistert, die ihnen jährliche Zuwachsraten von über 10 Prozent beschert.

Im Westen mag Luxus als Ersatz für Sinnstiftung gelten. Nicht so in Russland: Dort treibt die Melancholie des Erreichten den Wachstumsmotor an. Ein russischer Witz veranschaulicht die abweichende Logik: Zwei „Bisnesmeni“ unterhalten sich über den Erwerb einer neuen Krawatte: „3.000? Um die Ecke gab es die gleiche für 5.000 Dollar !“ Je teurer, desto glücklicher. Über die aufgeschobene Begierde, das hegelianische Entwicklungsprinzip der bürgerlichen Gesellschaft, lacht Russland schallend. Denn morgen könnte „Roskusch“ (Luxus) schon der Vergangenheit angehören. Marktforscher vom Romir Institut ermittelten: Ein Drittel der Befragten würde eine gewonnene Dollarmillion sofort in Edelkarossen, Immobilien und Luxusartikel anlegen.

Der Stoleschnikow-Gasse schräg gegenüber liegt das ZUM: Auch das Zentralni Universalni Magasin ist ein Luxustempel. Früher beherbergte der unansehnliche Nutzbau den sozialistischen Mangel. Hinter der verhüllten Fassade neben dem Bolschoi-Theater entsteht eine neue Außenhaut. Im ZUM hat ein sozialistisches Phänomen überdauert. Verkäufer bedrängen den Kunden nicht, sie tun so, als seien sie Teil der Staffage. Gestylt wie Schaufensterpüppchen, regungslos wie chinesische Tonsoldaten wachen sie vor den Labels. Myriaden von Angestellten sind es. Der Kunde macht sich dagegen rar wie in einem City-Parkhaus in der Mittagspause.

Teilnahmslose Tonsoldatenmimik hat auch was für sich. Bei Juicy Couture im ZUM greift Natascha zu einem lindgrünen Kleidchen für die zweijährige Tochter. 60 Quadratzentimeter Leinen kosten 220 Euro. „Nun nimm es schon!“, drängt der Mann. Vera würde für das Baby auch Einfaches kaufen, sie könne sich dies nur nicht leisten, erklärt sie. Die „Gesellschaft“, in der sie sich bewege, würde sie scheel anschauen. Wer nicht mitziehen will oder kann, verwirkt den Status des VIP – Etikette so transparent wie die Abendgala von Kara.

Der Kaufrausch hat inzwischen auch weniger Begüterte erfasst. Sie bevölkern die zahlreichen Megamalls am Stadtrand der Metropole. Die erste Großverkaufsstelle eröffnete Ikea 2002 im Südwesten Moskaus. Ein kostenloser Zubringer von der letzten Metrostation sorgt für anhaltenden Zustrom. Über zwei Kilometer Schaufensterfront wartet mit einer Verkaufsfläche von 150.000 Quadratmetern und 250 Geschäften.

Rund 800 Euro hat eine Moskauer Durchschnittsfamilie im Monat zur freien Verfügung, schätzen Marktforscher. Durch die hohen Weltmarktpreise für Rohstoffe stiegen auch die Realeinkommen. 2005 legte der Einzelhandel 12 Prozent zu. Tendenz steigend. Auch Konsum auf Pump bürgert sich langsam ein. „Vertage das Leben nicht auf morgen ! Superkredit in 15 Minute !“, wirbt die Bank Russischer Standard. Dass der effektive Jahreszins 34 Prozent beträgt, spürt der Schuldner erst später.

Bei Mega ist alles zu haben. Von Luxuskarossen im Untergeschoss über Datschazubehör bis zu Geschenkartikeln bei Le Cadeau oder Louvre. Für jeden Geschmack etwas. Pyramide mit Pharao aus Zedernholz als Schreibset mit Federhalter in Form eines Insignienstabs von Montegrappa (15.000 Euro). Ein Liebhaberstück auch die batteriebetriebene Ölplattform mit Hubschrauberlandeplatz oder der vergoldete mobile Förderturm. Kostenpunkt 500 Euro. Tiefer in die Tasche greifen – 2.000 Euro – muss man für einen lackierten Holzkasten, der zwei mechanischen Uhren als Ablage dienen soll. Das Gaucho-Grande-2-Speed-Mobile für Kinder gibt es nebenan im Sonderangebot für 700 Euro und bei Ädelschtal den elektrischen Zylinder-Samowar zum Kennenlernpreis von 550 Euro. Auch hier sind Markenfirmen vertreten, aber eher aus dem zweiten Glied.

Erschöpfte suchen zwischendurch Russlands größten Kinokomplex auf, der unter demselben Dach beheimatet ist, oder gönnen sich im Café Kofetum 120 Gramm „Tschernij Les“, Schwarzwälderkirschtorte, für 6 Euro nebst einem Hupferl Trüffel (25 Gramm) zum Selbstkostenpreis von 1,25 Euro. Für bewegungshungrige Kinder steht im Zentrum eine Eislaufbahn zur Verfügung, kostenpflichtig versteht sich. Die Mall ist kein architektonisches Glanzstück. Unter dem Glasdach, das das Ambiente eines südländischen Atriums simuliert, laden Inseln von meterhohen Kunstpalmen und Eukalyptusbäumen erschöpfte Damen in Pelzverschalung zum Verweilen.