Zwischen Ebbe und Blut

OSTFRIESLAND Um im schwierigen Geschäft mit den Büchern zu überleben, hat sich die Buchhandlung „Tatort Taraxacum“ in Leer auf Krimis spezialisiert. Auch für die Ostfriesischen Krimitage im November spielt sie eine besondere Rolle

Den frühen Charme der Aufsässigkeit und des Besonderen hat das Tarax beibehalten

VON THOMAS SCHUMACHER

Leer hat es ins Herz getroffen, mitten in die Altstadt! Dort befindet sich, an zentralem Ort und denkmalgeschützt, die Buchhandlung „Tatort Taraxacum“. In über 30 Jahren hat es sich von einer links-alternativen Buchhandlung – der einzig wirklichen in ganz Ostfriesland – zu einem Veranstaltungsort für die ganze Region entwickelt. Den frühen Charme der Aufsässigkeit und des Besonderen hat das Tarax, wie seine Fans es nennen, beibehalten.

Als Buchhandlung hat sich das Taraxacum auf Krimis spezialisiert, vor allem solche, die in der Region spielen. Wenn am 1. November die Ostfriesischen Krimitage starten, spielt das Taraxacum eine besondere Rolle: Erstens, weil einige der rund 40 Veranstaltungen im Taraxacum stattfinden. Zweitens, weil die Krimitage seit 16 Jahren von Peter Gerdes veranstaltet werden, dessen Frau Heike seit zwei Jahren die Inhaberin des Taraxacum ist.

Heike und Peter Gerdes sind in Leer bekannt wie die sprichwörtlich bunten Hunde. Er, ehemaliger Sportredakteur der lokalen Zeitung, heute halbtags Lehrer und Veranstalter, sie, Chefin des im Jahr 2000 gegründeten Leda-Verlags für Regionalkrimis und des Taraxacums.

Bis zum 31. Dezember 2005 hatte Familie Gerdes ein mehr oder weniger friedliches Leben in Leer. Dann geschah das Unfassbare: Das legendäre Taraxacum machte pleite. Zwar war es in Leer ein offenes Geheimnis, dass der damalige Besitzer, Michael Wübbelsmann, permanent klamm war, aber immer hatte er es geschafft, durch neue Ideen wie der Einführung eines Cafés / Restaurants und durch spektakuläre Veranstaltungen das Tarax am Leben zu halten.

Seit 1979 waren die LeeranerInnen so in den Genuss von Lesungen von Erich Fried, Harry Rowohlt, Sarah Kirsch, Robert Gernhardt, Ralph Giordano und vielen anderen gekommen. Rowohlt kürte das Tarax gar zur „schönsten Buchhandlung des Nordens“.

Michael und Walter Wübbelsmann als Betreiber „schleusten“ das Taraxacum über 22 Jahre an allen ruinösen Klippen vorbei und lockten Menschen aus Emden, Oldenburg, und den Niederlanden nach Leer. Sie bezeichneten ihr Engagement als „Kulturkampf in der Provinz“.

Tatsächlich haben sie als erste literarische Lesungen in Leer eingeführt. Ferner präsentierten sie Jazz und Folkgruppen in Ostfriesland. Ihre 110 Plätze im Tarax waren regelmäßig ausverkauft. Trotzdem reichte es nicht. Der „Löwenzahn“ (Taraxacum) drohte, zwischen Copyshop und Antikverkauf zu verwelken.

Dann kam Peter Gerdes. „Wir hatten vom Betrieb eines Restaurants keine Ahnung“, erinnert sich Gerdes an jenen Tag im Frühling 2011, an dem er und seine Frau auf dem Rückweg von einem Urlaub beschlossen, das Taraxacum zu kaufen. „Wir wollten eigentlich nur mit unserem Verlag in der Altstadt präsent sein. Aber dann spürten wir den Druck unserer Gäste. Sie wollten sowas wie das alte Tarax wiederhaben“, sagt Gerdes. Nach einer „Spontansanierung“ im Herbst konnte das Haus im November wieder eröffnet werden. „Das musste sein, wir brauchten das Weihnachtsgeschäft.“

Heute ist die Buchhandlung ein Paradies für Krimifreunde. „Wir investieren in eine Branche, die sich im Umbruch befindet. Eigentlich war unsere Buchhandlung für Leer gerade die eine zu viel. Deshalb mussten wir uns was Besonderes ausdenken“, sagt Gerdes. Zwar kann man im „Tatort Taraxacum“ jedes Buch bekommen, der Schwerpunkt liegt aber auf regionalen und internationalen Krimis.

Peter Gerdes, selbst Krimiautor und Mitglied in der KrimiautorInnengemeinschaft „Syndikat“, mobilisierte all seine Beziehungen, um den Laden zu kriminalisieren. Eine umfangreiche Sammlung internationaler Polizeiuniformen- und Mützen, Mitbringsel aus Produktionen aus dem Knast, etwa original Handtücher aus dem Hamburger Santa Fu bilden die liebevoll gestaltete Einrichtung. Tassen mit der Aufschrift „Du kannst nicht alle umbringen“ sollen als Mitbringsel für Polizisten besonders beliebt sein.

Selbst wohnen möchte die Familie an ihrem Tatort noch nicht. „Wir wollten auf Nummer sicher gehen und erst mal den Erfolg unserer Projekte Buchhandlung, Restaurant und Veranstaltungen abwarten“, sagt Gerdes.

Für die Ostfriesischen Krimitage hat Gerdes zwar viele Sponsoren, er selbst arbeitet dennoch ehrenamtlich. „Ich habe so viele AutorInnen wie möglich nach Ostfriesland geholt. Nach diesen Krimitagen muss das Konzept neu bedacht werden, ich schaff’ die Arbeit nicht mehr“, sagt er.

Eins ist sicher: Es wird weitergehen. Das „Wie“ muss noch ermittelt werden.

Ostfriesische Krimitage: 1. bis 17. 11., www.krimitage.de