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Archiv-Artikel

„Gottlos glücklich“

HAUSBESUCH Wolfgang lebt in Polyamorie. Einen Teil seiner Zeit verbringt er mit Assunta und den Kindern

VON MARLENE HALSER (TEXT) UND QUIRIN LEPPERT (FOTOS)

Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen im Bayerischen Oberland, Wolfratshausen, bei Wolfgang Steinberger (59), Assunta (52), Layla (17) und Jimi (14) Tammelleo.

Draußen: Ein weißes Einfamilienhaus, auf der Wand neben der Eingangstür ein lechzender Comic-Wolf mit Herzchen in den Augen (Wolfgang: „Den hab ich auf dem Arm tätowiert“) und eine leicht bekleidete Teufelin („Andere haben dort Heiligenbilder“). Vor dem Haus ein weißer BMW (Wolfgang) und ein weißer Fiat Duplo (Jimi: „So hässlich“, Assunta lachend: „Pass auf, sonst kommst du ins Heim“), hinterm Haus verwilderter Garten, Baumhaus und Trampolin.

Drin: Im Gästeklo das Bild einer kiffenden Mona Lisa, an der Küchendecke überlebensgroße Bienen und Käfer aus Plastik. Das Wohnzimmer: offen und groß, ein langer Holztisch, ein alter Flipperautomat (Matahari, 1978, Wolfgang: „Genau dieses Modell hab ich gesucht“), unter den Grünpflanzen eine Honda 400 (Assunta: „Hab den Führerschein gemacht, aber nie abgeholt“), Gitarren („Wir spielen in zwei Bands“), an die Glastür zum Hof hat jemand „Gottlos glücklich“ geschrieben („Wir finden alle Religionen schlecht“).

Wer macht was? Jimi geht in die 9. Klasse am Gymnasium („Morgen fahre ich für einen Monat auf Frankreichaustausch“), Layla in die 12. (heute Probe-Abi in Deutsch geschrieben: „Fand ich nicht so geil“), Wolfgang hat die gemeinsame Firma („Schaumstoffverarbeitung“, „70 Köpfe“), die er 28 Jahre mit Assunta führte, vor drei Jahren verkauft („Eigentlich bin ich fast Rentner“), jetzt Immobilienverwalter. Assunta ist seither bei einem Klebebandhersteller („im Vertrieb“) und Kneipenwirtin („Kulturbühne Hinterhalt“).

Wer denkt was? Jimi wird im Dezember 15 und will den Motorradführerschein machen („Dann bin ich endlich mobil. Mein Kumpel wohnt zwei Kilometer von der Bushaltestelle entfernt“). Layla macht den Führerschein („Einparken geht noch nicht, aber Autobahn mag ich“). Wolfgang: „Ich lebe seit 40 Jahren polyamor, habe also mehrere Liebesbeziehungen, von denen alle Beteiligten wissen.“ Assunta: „Also stinknormales Fremdgehen mit philosophischem Überbau.“

Wolfgang: In München geboren und aufgewachsen, Studium der ökonomischen Psychologie in Augsburg („Meine Eltern haben mich dazu gedrängt“), 1978 nach Frankreich („Export-Import-Firma“), eine Frau kennengelernt („ein gemeinsamer Sohn“) und im Zentralmassiv ein Restaurant eröffnet, Kochlehre an der Hotelfachschule von Vichy, nach zwei Jahren die Kneipe verkauft („Zu viel Arbeit“, „Ich bin ein fauler Sack“), zurück nach Deutschland und wenig später die damals marode Firma übernommen. Assunta stieg mit ein („Nach der Entbindung der Kinder war ich fünf Tage zu Hause, dann bin ich wieder zur Arbeit“).

Assunta: Geboren in Stuttgart, Mutter Deutsche, Vater Italiener (Wolfgang: „ein Spagettle“), 1982 zum Studium der Politischen Wissenschaft, Soziologie und Kommunikationswissenschaft nach München („Weit weg, damit der strenge italienische Vater nicht vorbeikommen kann“), Friedens- und Anti-AKW-Bewegung („Wir waren jede Woche in der Fußgängerzone unterwegs“), Mitglied einer atheistisch-feministischen Bewegung („Mit 17 aus der Kirche ausgetreten, für meinen Vater ein Unding“), Sprachstipendium in Frankreich. Nebenher: Schöffin am Landgericht, Straßenclown, Vorsitzende im Bund für Geistesfreiheit.

Das erste Date: Assunta war mit Freundinnen in Wolfgangs Kneipe (Wolfgang: „Ich hab sie und ihre Freundin angebaggert, aber Assunta war spröde“). Sie vergaß ihren Hotelschlüssel und musste nachts noch mal zurück. Gemeinsam was trinken gegangen (Wolfgang: „Ich hatte eine andere Frau dabei“), die Andere nach Hause gebracht, bei Mondschein mit Hund und zwei Katzen im Zentralmassiv spazieren gegangen. Dort warf er sich Assunta zu Füßen („Wie Groucho Marx in The Marx Brothers: Girl, I love you! I love you so madly!“). Assunta: „Ich war schwer verliebt und sehr beeindruckt.“

Die Hochzeit: Gab es nie. Wolfgang: „Das passt nicht zum polyamoren Konzept.“ Assunta: „Lieben kann man auch ohne Heirat.“ Wolfgang: „Vor ein paar Jahren wurde bei mir Krebs diagnostiziert. Da wollte ich plötzlich heiraten. Aber die Diagnose war falsch.“ Assunta: „Beim Thema Staat und Kirche sind wir uns am ähnlichsten.“

Der Alltag: Assunta steht um 6 Uhr auf, macht Frühstück und bringt die Kinder auf dem Weg zur Arbeit in die Schule. Wolfgang schläft aus und beantwortet dann seine Mails („Ich versuche viel zu faulenzen“). Gegen 18.30 Uhr ist sie zurück („und hab auf dem Weg schon eingekauft“). Wolfgang lebt nur zum Teil mit Assunta und den Kindern („Ich habe noch ein Domizil in München“). Assunta: „Die Polyamorie ist nicht mein Konzept, aber eine monogame Einehe wäre es auch nicht.“ Layla: „Too much information!“ Zweimal die Woche Bandprobe (Wolfgang spielt Bass, Assunta singt) mit „Screwed“ (Wolfgang: „durchgevögelt“). Layla spielt Fußball, Jimi muss dann manchmal pfeifen.

Wie finden Sie Merkel? Assunta: „Bemerkenswert skandalfrei, aber sie schlafwagelt mit uns.“ Wolfgang: „Die Frau ist teflonbeschichtet.“ Jimi: „Beim Wahl-o-Mat kamen die Piraten raus.“ Layla: „Obama find ich spannender.“

Wann sind Sie glücklich? Assunta: „Glück ist die Abwesenheit von Unglück, und großes Unglück erlebe ich nicht.“ Wolfgang: „Wenn ich mit Leuten über Religion streite, Musik mache, flirte oder Karten spiele.“ Jimi: „Neulich beim Go-Kart-Fahren.“ Layla: „Wenn ich tanze oder schreibe.“

Nächstes Mal treffen wir Jürgen-Bernd Runge in Bonn. Interesse? Mailen Sie an hausbesuch@taz.de