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Archiv-Artikel

Revue der Unperfekten

SHOW-TANZ „New Burlesque“ ist endgültig in der Gesellschaft angekommen. Das liegt wahrscheinlich daran, dass die Tänzerinnen weder dürr noch makellos, sondern vor allem unglaublich selbstbewusst sind

VON ALEXANDRA EUL

Es sollte eine dieser legendären Premieren auf der Hamburger Reeperbahn werden. Claudia und David Gritl, die Betreiber von Deutschlands erster Burlesque-Bar „Queen Calavera“ laden zur „Late Night Burlesque Revue“ ins Café Keese. Der Abend beginnt vor einer verschlossenen Tür: Im Keese findet vorher der „Quatsch Comedy Club“ statt und an diesem Abend überziehen die Komödianten die Show. Die Gritls, ihr Team und die Burlesque-Künstlerinnen warten. Eine Stunde noch bis zum Einlass; wenig Zeit für Bühnenaufbau, Soundcheck und Styling. Auch, wenn die Damen ohnehin schon im Cocktailkleidchen, mit perfektem Lidstrich und zurechtgeföhnter Haarpracht heranstöckeln. „Wir sind schließlich Ladies“, sagt Tänzerin „Eve Champagne“, während sie in der Umkleide doppeltes Klebeband an ihren „Pasties“ – kleine paillettenbesetzte Stoffstücke, die auf der Bühne ihre Brustwarzen bedecken werden – befestigt. Dazu bestellt sie Martini auf Eis.

„New Burlesque“ gilt längst als die Körperkunst der Stunde: Anders als beim profanen Striptease lassen die Vertreterinnen hier den erotischen Varieté-Tanz des frühen 20. Jahrhunderts gepaart mit der Pin-Up-Ästhetik der 1950er Jahre in all seinen Facetten wieder aufleben. Die Betonung liegt auf „tease“: Neckisches Reizen statt plumpes Ausziehen. Kabarettnummern mischen sich mit femininer Eleganz, dazu kommen Anleihen aus Rockabilly und Punk. Ganz entkleidet stehen die Tänzerinnen nie auf der Bühne. Erotik mit Köpfchen, quasi.

Klatschen und Trinken

Das „Queen Calavera“ ist der Treffpunkt der deutschen Burlesque-Szene. Eine Kaschemme unweit der Reeperbahn, mit viel Plüsch und Glamour. Die abendfüllende Revue soll das Programm im Calavera ergänzen, sagt Claudia Gritl. Das Café Keese ist ausverkauft, rund 300 Gäste sind da, die einstige Subkultur „New Burlesque“ ist endgültig in der hanseatischen Gesellschaft angekommen. „Es gibt viele Zuschauer, die sich eine Burlesque-Show in einem eleganteren und gemütlicheren Rahmen anschauen wollen, als es im Queen Calavera möglich ist“, sagt Gritl. Ein Mal im Monat soll die Nacht-Revue fortan stattfinden.

Moderatorin „Orphelia de Winter“ trippelt in einem roten Corsagenkleid samt Petticoat durch das Publikum und nimmt schnatternd auf Männerknien Platz. Mit ihr führt der amerikanische Moderator Armitage Shanks durch den Abend, auf Englisch versteht sich. Von ihm stammen auch die Regeln zur Revue. Erstens: Je mehr Beifall, desto mehr ziehen wir aus! Zweitens: Trinkt!

Neues Selbstbewusstsein

Die erste Nummer: „Tronicat La Miez“ schleicht im schwarzen Anzug mit Knarre in der Hand auf die Bühne und schleudert ihr Kostüm von sich. Sie neigt die Hüfte nach links, dann nach rechts, streckt ihr Bein bis ans Ohr, landet im Spagat. Am Ende bedecken ein Höschen und die Pasties das Wesentliche: Scham und die Spitzen ihrer Brüste.

Der Burlesque-Tanz steht für ein neues weibliches Selbstbewusstsein. Schließlich schämen sich die Künstlerinnen weder wegen Cellulite oder eines Bauchansatzes. Ganz im Gegenteil, es sind genau diese Schwächen beziehungsweise normalen körperlichen Beschaffenheiten, die Frauen bei der Anprobe des Bikinis kurz vor Sommerbeginn einen kurzen Stich versetzen – und die hier mit verschmitztem Lächeln zur Schau gestellt werden.

Die zweite Nummer: „Leolilly“ mimt einen Traum in Rosa, auf der Bühne liegt nun ein Kissen in Herzform, das blonde Pin-Up-Girl wandelt im transparenten Bademantel über die Bühne. Ein lasziver Blick über die Schulter, dann fallen auch hier fast alle Hüllen. Der Ablauf der kurzen Nummern ist immer gleich. Was sich unterscheidet, sind die Rollen, die die Frauen entwickeln: mal neckisch-frivol, mal komisch, mal verführerisch.

Es sei toll, normale Frauen auf der Bühne zu sehen, sagt eine Zuschauerin. Keine Dünnen und Perfekten, wie sonst immer. Erotisch findet sie die Show, auch wenn sie auf Männer stehe. Sie ist nicht die Einzige: An den kleinen Tischen im Café Keese sitzen genau so viele weibliche wie männliche Zuschauer, Jung trifft auf Alt, das ein oder andere Pärchen ist auch dabei. Das Publikum johlt und reckt die Hälse, als sich Eve Champagne in der Dschungel-Nummer „Queen Kong“ eines Gorilla-Kostüms entledigt und dann als Amazone im Tigerbikini Kunstblut in ihren Mund und über ihren Körper kippt.

Burlesque bedeutet Macht

Die Darstellerinnen sind in der Burlesque-Szene Stars. Nicht nur in Hamburg, sondern auch in Unterhaltungsmetropolen wie Las Vegas. Eve Champagne wollte Schauspielerin werden. Dafür sei sie allerdings zu groß, zu laut und ihre Stimme zu tief. Mittlerweile gehört sie zum Stammpersonal des „Queen Calaveras“ und macht eine Ausbildung zur Hotelfachfrau. Ihr Ruf als Deutschlands bekannteste Burlesque-Tänzerin, bei der Bewerbung ein Pluspunkt. „Die Leute finden es cool, von mir bedient zu werden.“ Der leise Zweifel, dass sich die Darstellerinnen trotz allem doch nur zu Sexobjekten hochstilisieren, verfliegt im Gespräch mit der pöbelnden Rothaarigen schnell. „Auf der Bühne kann ich machen, was ich will“, sagt sie. Burlesque bedeute auch Macht, über den eigenen Körper und über das Publikum.

Trotzdem wirkt die Burlesque-Revue auf Dauer schleppend. Über zwei Stunden reiht sich Nummer an Nummer, es fehlt ein Spannungsbogen oder ein verbindendes Element zwischen den Aufführungen. Das Burlesque-Theater spielt mit dem Unperfekten: die Körper, das Schauspiel, das gesprochene Wort – alles hat Ecken und Kanten. Das Café Keese nicht. Und so verfliegt die performative Energie, die die Frauen durch ihren selbstbewussten Auftritt erzeugen, bisweilen in der Weite des Aufführungsraums.

Dann das Finale: Moderator Schanks stimmt den „Elephant Song“ an. Wer Champagne und ihren Kolleginnen dabei zuschaut, wie sie leicht bekleidet und voller Elan stampfende Elefanten imitieren, die Arme schwingen, den Rücken beugen und dabei immer noch keck ins Publikum grienen, der möchte sich – langweilige Revue hin oder her – zumindest von ihrem Selbstbewusstsein gerne ein Stück abschneiden.