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Archiv-Artikel

Die schöne Lösung

PROZESS Mit juristischer Fantasie wurde der Fall Suhrkamp gelöst: Stoff für Romane und Gesellschaftstheorie

VON DIRK KNIPPHALS

Dies wurde also eine historische Woche für die deutsche Literatur. Und für die Theorieproduktion. Und für die deutsche Verlagsszene sowieso. Womit kaum noch jemand gerechnet hatte: Bei Suhrkamp zeichnet sich eine Einigung ab. Nach Jahren des Streits und Monaten sich widersprechender Gerichtsurteile und nachdem eine dreistellige Anzahl von Feuilletonseiten vollgeschrieben wurde. Von Zerschlagung und Liquidation eines der wichtigsten deutschen Verlage ist die Rede gewesen. Eine Lösung war nicht in Sicht. Und nun ist sie da.

Es lohnt sich, noch einmal genau draufzugucken, was diese Woche eigentlich geschehen ist. Der Streit zwischen der Familienstiftung, der Ulla Unseld-Berkéwicz vorsteht und die 61 Prozent des Verlags hält, und der Medienholding von Hans Barlach, der 39 Prozent gehören, ist keineswegs beigelegt. Wer am Dienstag bei der entscheidenden Sitzung am Amtsgericht Berlin-Charlottenburg miterlebte, mit welch versteinerter Miene die Suhrkamp-Oberen den Ausführungen von Barlachs Rechtsvertretern zuhörten, mag auch nicht daran glauben, dass es in Zukunft zwischen den beiden Lagern irgendetwas erfolgreich zu vermitteln geben wird. Auch die Frage, ob Ulla Unseld-Berkéwicz bei den Abrechnungen der Kosten für ihre Villa unrechtmäßig getrickst hat, ist noch gar nicht abschließend geklärt. Wegen dieser komplizierten Zahlenfragen hatte Hans Barlach zunächst erfolgreich gegen seine Behandlung als Miteigentümer vor Gericht ziehen können.

Die Lösung der Woche besteht nun darin, dass diese Fragen auch gar nicht mehr gelöst werden brauchen. Sie sind irgendwie unerheblich geworden. Auf der Sitzung wurden Fakten geschaffen, an denen niemand mehr vorbeikommt. Suhrkamp wird im Rahmen einer Schutzschirminsolvenz in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Die Gläubiger haben dem Plan zugestimmt, und das Amtsgericht wird diese Entscheidung bestätigen, sobald die noch notwendigen formalen Erfordernisse erfüllt sein werden. Daran hat die zuständige Richterin Mechthild Wenzel keinen Zweifel gelassen. Hans Barlach hat ein Einlenken signalisiert und wird wohl keinen Widerspruch einlegen. Er hätte gegen das ganze Verfahren klagen und damit möglicherweise bis vor das Verfassungsgericht ziehen müssen, mit sicheren hohen Anwaltskosten und unsicherem Ausgang.

Diese Wendung ist über den Fall Suhrkamp hinaus interessant, ja, sie gewährt geradezu gesellschaftstheoretisch relevante Erkenntnisse. So ist die Empörung der Suhrkamp-Autoren gegen Barlach, der von Anfang an eine höhere wirtschaftliche Rendite seines Verlagsinvestments eingeklagt hatte, letztlich irrelevant gewesen – oder doch nur so weit relevant, als die Autoren als Gläubiger dann geschlossen für den Umwandlungsplan stimmten. Bei den vorangegangen Gerichtsverfahren musste man feststellen: Kulturelles Kapital ist nicht juristisch einklagbar. Die Autoren mochten sich noch so sehr um einen Ausverkauf der Literatur sorgen und Hans Barlach als „Unhold“ (Peter Handke) schmähen, das Eigentumsrecht von Hans Barlach wog juristisch schwerer, weshalb er zunächst auch alle Prozesse gewann. Kulturelle Relevanz zählt im gesellschaftlichen Subsystem des Rechts eben gerade nicht, schließlich wird dort ohne Ansehen der Person geurteilt.

Die Lösung ist dann vielmehr das Ergebnis großer juristischer und wirtschaftlicher Fantasie gewesen, sie ist verbunden mit Frank Kebekus, dem Insolvenzbevollmächtigen. Der entscheidende Kniff bestand darin, die Insolvenzsituation – die Hans Barlach bis zuletzt bestritt, aber selbst herbeigeführt hat, indem er zunächst auf Gewinnausschüttungen bestand – zu einer Änderung der Gesellschaftsform von Suhrkamp zu nutzen. Auf so etwas muss man auch erst einmal kommen! Es gibt für so etwas ja keine passenden Präzedenzfälle. Und die nötigen Nerven muss man auch erst einmal haben! Wenn man nur eine anfechtbare Kleinigkeit übersehen hat, kann schnell das ganze Unternehmen scheitern.

Aber das hat alles geklappt. Und so ganz kann man sich nun nicht verkneifen, auf die Ironie hinzuweisen, dass gerade eine ganze Reihe von Suhrkamp-Autoren in ihren Büchern Wirtschaft gern als einen geistfernen Bereich darstellen. Dabei zeigt der Fall Suhrkamp jetzt doch vor allem, wie viel Kreativität im Umgang mit Situationen und Gesetzen nötig ist, um hier zu bestehen. Mit dieser Lösung als Schlusspunkt hat die Wirklichkeit bei Suhrkamp insgesamt jedenfalls einen Roman- oder auch TV-Serienplot hingelegt, den man sich als Autor nie ausdenken könnte, wenn man Juristen und Unternehmensberater als ausschließlich auf Rendite fixiert darstellt. Die Lösung zeugte auch von kreativer Brillanz.

Alle schauen jetzt auf Hans Barlach. Er hat in der Auseinandersetzung nun auf den ersten Blick den Kürzeren gezogen. Aber zur Schönheit dieser Lösung gehört, dass man auch das gar nicht so dezidiert sagen kann. Immerhin: Barlach ist jetzt Großaktionär des Verlags, seine Anteile werden in Aktien umgewandelt, und als solcher hat er klar definierte Rechte. Der Streit zwischen den Anteilseignern mag weitergehen, er hat nun aber einen transparenteren Rahmen.

Auch muss Ulla Unseld-Berkéwicz noch mal betrachtet werden. In der alten Geschäftskonstruktion war sie operative Verlegerin von Suhrkamp und über die Familienstiftung Aufsichtsinstanz zugleich. Das geht bei einer AG nicht mehr. Vieles deutet darauf hin, dass sie die Programmhoheit behalten möchte. Aber sie hat nun einen Aufsichtsrat neben und über sich. In dem werden mit Gerhart Baum, Hans Magnus Enzensberger und Marie M. Warburg ihr Vertraute sitzen. Aber wer weiß. So eine Situation kann ihre eigene Dynamik entwickeln. Zumindest von Enzensberger ist bekannt, dass er im Kulturbereich Machtpositionen unabhängig auszuüben pflegt. Auch die beiden anderen Aufsichtsräte haben einen Ruf zu verlieren. Man kann davon ausgehen, dass sie ihre Kontrollfunktion auch ausüben werden.

Eines wurde mit der Lösung bereits erreicht: dass man Suhrkamp nun wieder ausschließlich kulturell beurteilen kann. Und da wiederum haben die Gerichte nichts hineinzureden.