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Archiv-Artikel

Bilder des Nichteinverstandenseins

FOTOGRAFIE Nur vor dem Hintergrund des Butoh-Tanzes sind die jetzt in Köln gezeigten Arbeiten von Eikoh Hosoe zu verstehen

VON MARKUS WECKESSER

Kein anderes Erlebnis hat die Generation von Eikoh Hosoe (geboren 1933) nachdrücklicher geprägt als die Atombombenabwürfe auf Hiroschima und Nagasaki, die den Kindern als jene Zeit in Erinnerung blieb, in der sich der Himmel verdunkelte. 1985 brachte die Gruppenausstellung „Black Sun“ die Zeitgenossen Shomei Tomatsu, Masahisa Fukase, Daido Moriyama und eben Hosoe zusammen. Obgleich deren künstlerische Arbeiten unterschiedlicher nicht sein können, eint sie doch die gemeinsame Erfahrung der nuklearen Bedrohung. Bei der Eröffnung der Ausstellung „Theater der Erinnerung“ im Japanischen Kulturinstitut in Köln bekannte Eikoh Hosoe, dass die Angst vor der unbekannten, mysteriösen Bombe bis heute sein Trauma sei. Es hat, mal mehr, mal weniger direkt Eingang in das Werk des Fotografen gefunden.

Um der Bombardierung zu entgehen, wurde der Zwölfjährige in den letzten beiden Kriegsjahren von Tokio zu Verwandten aufs Land verschickt, wo sich der Junge als Außenseiter fühlt. Knapp 20 Jahre später lässt Hosoe die Erinnerung an diese für ihn schreckliche Zeit wieder aufleben. Mit dem Butoh-Tänzer Tatsumo Hijikata, der ebenfalls in der Region Tohuku aufgewachsen ist, entsteht die Serie „Kamaitachi“. Der Titel bezieht sich auf ein unsichtbares Fabelwesen, ein Wiesel, das mit seinen Sichelzähnen Menschen, denen es begegnet, die Haut aufreißt. In der fotografischen Arbeit steht es synonym für individuelle Angst der Kinder vor dem Unsichtbaren und Unsagbaren und zugleich für die nationale Furcht vor der omnipräsenten Bombe.

Die schwarzweißen Bilder Hosoes zeigen Tatsumi Hijikata, der mit wehendem Umhang über die Felder jagt, er bohrt sich in Ackerfurchen, springt vor einer Gruppe Kinder in die Höhe, hockt sich wie eine Krähe auf ein Gestell zum Reistrocknen oder in einen Baum und macht vor einer Gruppe Bauern Faxen. Zuweilen wirkt sein Auftritt bedrohlich und entfesselt, dann wieder scheint der Tänzer Zustände von Unschuld und Einsamkeit, aber auch Wollust und Ekstase zu durchleben. Oft fotografiert Eikoh Hosoe die Szenen aus dem Blickwinkel eines Kindes oder aus der Froschperspektive. Wie das Kamaitachi durch den Erzähler, wird das Theater der Erinnerung durch die Fotografie und den Tanz lebendig.

Die Freundschaft und das gemeinsame Interesse der beiden Künstler ist der Butoh-Tanz, der Tanz der Dunkelheit, als dessen Begründer Tatsumi Hijikata und Kazuo Ohno gelten. In Abgrenzung zu traditionellen japanischen Tanzformen zeichnet sich diese durch extreme Körperlichkeit und völlige Regelfreiheit aus. Die Gliedmaßen der Tänzer sind meist gebeugt und die Muskeln stark angespannt. Charakteristisch sind das Aufstampfen der Füße, ruckartige Bewegungen des Oberkörpers und häufiges Zittern. Rational ist Butoh nicht zu erklären. Der sinnliche Tanz nimmt Anleihen beim europäischen Ausdruckstanz und beim Modern Dance, wird aber von den Aufführenden rein aus dem Unbewusstsein geschöpft.

Nur vor diesem Hintergrund sind die Arbeiten von Eikoh Hosoe zu verstehen. Als erste Butoh-Aufführung gilt eine Adaption Hijikatas von Yukio Mishimas Roman „Kinjiki“ („Forbidden Colors“), die 1959 Homosexualität und Gewalt thematisierte. Eikoh Hosoe war beeindruckt und nahm mit Hijikata und seinen Tänzern „Man and Woman“ (1961) auf, legte jedoch den Fokus auf eine heterosexuelle Beziehung. Kazuo Ohno, dem anderen maßgeblichen Butoh-Künstler, widmete der Fotograf 2006 zu dessen 100. Geburtstag das Buch „Butterfly Dream“. In Köln ist eine Auswahl zu sehen, die den Tänzer und bekennenden Christen in Rollen und Stücken zeigt, die ihn berühmt gemacht haben. Wo Kazuo Ohno sich konvulsivisch windet, überträgt sich die Anspannung gleichsam auf den Betrachter. Die Bilder bannen zugleich den Blick und schrecken ab. Das Motiv der männlichen Prostituierten La Argentina, allerdings von Albert Watson fotografiert, mag dem Besucher durch den Musiker Antony Hegarty bekannt sein, der es für das Cover seines Albums „The Crying Light“ verwendete.

Am Ende der Fotoserie liegt der bewegungsunfähige Ohno auf einer Art Krankenhausbett. Seine Augen sind geschlossen und bis zum Kinn reicht ihm eine Decke. Fast hat es den Anschein, als läge da ein Toter. Doch Kazuo Ohno lebt (noch heute!) und auf seinem Bauch liegt ein nacktes Baby, bei dem es sich um seinen Urururenkel handelt. Präziser und poetischer hätte Eikoh Hosoe das Leben seines Freundes nicht auf den Punkt bringen können, der im Tanz die Begegnung von Leben und Tod suchte.

Als er sich für Butoh zu interessieren begann, galt der neue Tanz als Revolte gegen den perfekt inszenierten Körper, als Anklage gegen die japanische Nachkriegsgesellschaft, die sich in der Nachahmung westlicher Ästhetik übte. Butoh bedeutete Nichteinverstandensein mit der Wiederbewaffnung und dem Verdrängen der Kriegserfahrung.

In der Fotografie zeichnete sich im Bruch mit dem Piktorialismus eine vergleichbare Entwicklung ab. Eikoh Hosoe, der zunächst Fotografie in Tokio studierte und dann als Fotojournalist arbeitete, gehörte 1957 für kurze Zeit der Gruppe Vivo an, die zu jener Nachkriegsavantgarde gehörte, die unter dem Einfluss von Künstlern wie William Klein, Ed van der Elsken, Bill Brandt und Edward Weston sowie Magazinen wie Look und Life, die einen neuen fotografischen Stil japanischer Prägung entwickelten.

Das setzt sich noch in Hosoes „Ukiyo-E Projections“ fort, die 2003 im Asbestos Dance Studio von Tatsumi Hijikata entstanden, das nach dessen frühem Tod von seiner Witwe weitergeführt wurde. Dank einer neuen Technik von Epson wurden die Bilder auf japanische Hängerollen aus Washi-Papier gedruckt. Auf die weiß geschminkten Körper junger Butoh-Tänzer projizierte Hosoe erotische Farbholzschnitte von Künstlern wie Katsushika Hokusai und Kitagawa Utamaro. Körperteile von realen und gemalten Menschen gehen ineinander über und bilden ein visuelles Knäuel, eine kunstvolle Verschränkung von Körper und Sexualität, Tanz und Kunstgeschichte.

In Deutschland hat es die letzte institutionelle Einzelausstellung mit Arbeiten von Eikoh Hosoe vor über 30 Jahren gegeben. Das mag erklären, warum sein Werk hierzulande weniger beachtet wurde als das von Künstlern wie Hiroshi Sugimoto, Naoya Hatakeyama, Daido Moriyama und Nobuyoshi Araki. In Köln gilt es einen Großmeister der japanischen Fotografie zu entdecken.

■ Bis 22. Mai, Japanisches Kulturinstitut Köln, Publikation 20 €