LESERINNENBRIEFE
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Der Wert der Arbeit

■ betr.: „Die zerlegte Zahl: 16.808“, taz vom 26. 10. 13

Man kann die Zahl auch so zerlegen: Wenn einem Bundestagsvizepräsidenten mit 12.378 Euro die anderthalbfache Diät eines normalen Abgeordneten zusteht, betragen die Mehrkosten für einen zusätzlichen Bundestagsvizepräsidenten im Jahr ca. 48.000 Euro. Dafür muss jemand, der „sogar“ den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro verdient, bei einer Vollzeitstelle fast drei Jahre arbeiten.

Es ist schon beschämend, wie unterschiedlich unsere Gesellschaft den Wert von Arbeit bemisst. EDUARD HARTMANN, Berlin

Rot-Grün ohne SPD

■ betr.: „Draußen keine Koalition“, taz vom 24. 10. 13

Der Beitrag lenkt wortreich davon ab, dass sich die SPD-Führung schlicht nicht zutraut, eine linke Koalition zu führen. Denn obwohl sie quantitativ über die Hälfte dieser Koalition stellen würde, drohte ihr inhaltlich die Marginalisierung zwischen den Konzepten der Linken und der Grünen. Der SPD ist die Fähigkeit abhanden gekommen zu gestalten, sie kann nur noch verwalten. Die SPD hat keine Visionen mehr, weiß keine Alternativen. Sie kann nur noch die Programme anderer links oder rechts von ihr befördern oder behindern.

Es würde mich nicht wundern, wenn in zwei, drei Legislaturperioden bei Rot-Grün die SPD keine Rolle mehr spielt.

ROLF MUELLER, Trennewurth

Klug gedacht, dumm gehandelt

■ betr.: „Draußen keine Koalition“, taz vom 24. 10. 13

Dem ganzen Text kann man nur zustimmen! Nur eines bleibt rätselhaft, und die Autoren haben dazu vornehm geschwiegen: Das Institut Solidarische Moderne (ISM) gibt es nun schon über drei Jahre und war doch wohl als Plattform gedacht, auf der genau das entwickelt werden sollte, was nun erneut (noch) nicht funktioniert hat. Gibt es womöglich innerhalb des Instituts Blockierer derselben Sorte wie auf der politischen Bühne oder werden ebendort schlicht alle Ergebnisse des Instituts ignoriert? Dann wäre das ISM ein (überflüssiges?) Leichtgewicht. vergleichbar mit den vielen Enquetekommissionen, die man zusammen so beschreiben könnte: hier klug gedacht, da dumm gehandelt. DIETER STOMPE, Erfurt

Glaubwürdigkeit verspielt

■ betr.: „Brauchen die Grünen weniger Moral?“, taz vom 26. 10. 13

Doch, doch, man kann über Kretschmann und die Grünen schreiben, ohne Stuttgart 21 auch nur zu erwähnen. Jedenfalls kann man das in der taz. Allerdings kann so wahrscheinlich nur schreiben, wer im fernen Berlin residiert und die Augen zugleich vor dem größten Betrugsprojekt der Industriegeschichte verschließt und vor einer der größten, buntesten und hartnäckigsten Protestbewegungen, die dieses Land je erlebt hat. So kann nur schreiben, wer nicht miterlebt hat, wie wenig Leute die versammelte Führungsmannschaft der Grünen bei ihrem Wahlkampf in Stuttgart mobilisieren konnte und wie Kretschmann und die Creme seiner angegrünten Partei auf dem Stuttgarter Schlossplatz ausgebuht worden sind; wer den Protest gegen Stadt- und Umweltzerstörung für unwichtig hält und das Beharren auf der Wahrheit für ein Übermaß an Moral. Parteiübergreifend gelte Kretschmann als wertegeleitet und integer. Das mag sein. Das zeigt aber nur, dass sich jeder, der noch einen Rest an Anstand bewahrt hat, einer breiten Front von inkompetenten und korrupten Tunnelparteien gegenübersieht.

Seinen Wahlerfolg verdankt Kretschmann dem Protest gegen Stuttgart 21 und dem Erschrecken über Fukushima. Die Grünen haben über einen Vertrauensvorschuss und über Glaubwürdigkeit verfügt; beides hat Kretschmann in kürzester Zeit verspielt, nur hat man dies anscheinend unter der Berliner Käseglocke noch nicht gemerkt.

BEN CAPULCUYUM, Reutlingen