„Mit Verlaub, Herr Minister a.D., Sie irren!“

Junge Grüne rechnen ab mit Joschka, Einheitslinie und Postengerangel. Ihr Programm heißt mehr Gerechtigkeit

„Saturiert fläzt sich der Endfünfziger Minister a.D. Joschka Fischer in seinen Sessel und erklärt sich zum letzten Rock‘n‘Roller der Politik. Nach ihm käme nur noch Playback. Viele Grüne beschäftigten sich tatsächlich lediglich mit der Rangelei um die wenigen verbliebenen Posten. Sie erklären die Gründungsideale der Grünen für überholt (...) ansonsten kommt von ihnen wenig inhaltliches. Viel Neues sei vom grünen Nachwuchs nicht zu erwarten, prophezeite Übervater Fischer. Mit Verlaub, Herr Minister a.D., Sie irren! (...)

Während der Zeit der rot-grünen Koalition im Bund und in NRW wurden in unserer Partei viele Grundsatzdebatten nicht geführt. Aus Angst, sonst möglicherweise die Regierungsfähigkeit zu gefährden, wurden Diskussionen im Keim erstickt und die Partei auf Einheitslinie gezwungen. Damit muss Schluss sein!

Weil wir Fragen, die die ganze Gesellschaft beschäftigten, öffentlich diskutieren konnten, waren die Grünen früher die spannendste und modernste Partei. So soll es wieder werden! Kritisches Denken und öffentliches Streiten um die besten Argumente muss wieder zur Marke Grün werden.

Anything goes ist das Bild, das jungen Menschen in unserer Gesellschaft gerne vermittelt wird. Die Realität unserer Generation sieht anders aus: Die mühsame Suche nach einem Ausbildungsplatz, Ängste vor dem Verlust von Arbeit und Sicherheit (...) und der Konkurrenzdruck verursachen ein Gefühl der Verwirrung und Überforderung, nicht der Freiheit. Auch wenn es in dieser Gesellschaft Mainstream geworden zu sein scheint, außer sich selbst keine anderen Menschen mehr im Blick zu haben, setzen wir auf Solidarität. Wir wollen, dass alle Menschen die gleichen Chancen (...) haben. Es ist Aufgabe der staatlichen Gemeinschaft, dieses zu garantieren und biografisch bedingte Chancenungleichheiten abzubauen.

Deshalb fordern wir einen radikalen Systemwechsel in der Bildungspolitik. Das jetzige Schulsystem ist selektiv und leistungsfeindlich, ungerecht und diskriminierend. Wir wollen eine Politik, die jedem Kind die gleichen Chancen gibt, unabhängig von Herkunft oder Geldbeutel der Eltern. Ein gebührenfreies Erststudium ist für uns eine zentrale Voraussetzung (...) Wir fordern (...) die Einführung einer Schule für alle Kinder, in der jeder nach seinen Fähigkeiten gefördert wird.

In der Wirtschaftspolitik (...) haben sich viele grüne Spitzenpolitiker darauf beschränkt, dem neoliberalen Mainstream zu verfallen und den Sozialabbau schönzureden. Dieses Denken darf sich bei uns nicht durchsetzen. (...) Um Generationengerechtigkeit erlangen und bewahren zu können, dürfen soziale Strukturen nicht kaputtgespart werden. (...) Nachkommende Generationen müssten nicht nur unter Staatsschulden leiden, sondern auch unter einem sozialen Netz, das keinen Halt mehr gibt. (...)

Wir brauchen eine gerechtere Umverteilung des Einkommens in Deutschland. Die rot-grüne Steuerpolitik hat hier gravierende Fehler gemacht. Die Senkung des Spitzensteuersatzes hatte keinerlei belebende Wirkung für die Wirtschaft und führte zu gravierenden Steuerausfällen.

Die überwältigende Mehrheit der Bürger befürwortet die Idee des Sozialstaats, trotzdem wird er ausgehöhlt. Auch und gerade die Grünen haben hier Fehler gemacht. (...) Für uns junge Grüne ist Gerechtigkeit der bestimmende Leitwert unserer Politik. Gerechtigkeit muss wieder stärker zum Kompass für grüne Politik werden. (...) Gerechtigkeit ist unteilbar und betrifft alle Menschen jedweder Herkunft, Nationalität, Religion oder Sprache. (...)

Wir als junge Grüne wollen die Grünen wieder an ihre Grundwerte erinnern. Die Frage der ökologischen Nachhaltigkeit ist für uns ein zentrales Anliegen (...) Typisch Grüne Themen beim Umweltschutz finden zwar einen breiten politischen Konsens, aber viele Menschen wägen sich in trügerischer Sicherheit, weil sie meinen, in der Ökologie sei alles auf gutem Wege. So reicht uns der erzielte Kompromiss beim Atomausstieg nicht, wir wollen (...) den endgültigen Ausstieg. Gerade unter der Großen Koalition und schwarz-gelb in NRW gewinnt die Atom-Lobby erschreckend an Einfluss. Die Grünen müssen wieder mehr Kontakt zu den Antiatombewegungen aufnehmen. (...)

In unserer Partei müssen zementierte Strukturen wieder aufgebrochen werden. Neueinsteiger und Nachwuchspolitiker müssen besser gefördert und wieder ernst genommen werden. Die Mentalität der Besitzstandswahrung und die Macht der Klüngel-Netzwerke hält viele Neue davon ab, sich zu engagieren. Wenn die Partei nicht aktiv auf Nachwuchsförderung setzt, schaufelt sie sich ihr eigenes Grab.

Wir sagen: Lieber Joschka, wir sind gekommen, um zu bleiben!“

KATHARINA DRÖGE, Sprecherin Grüne Jugend NRW; SABINE BRAUER, Politische Geschäftsführerin Bündnis 90/Die Grünen NRW; SVEN LEHMANN, Landesvorstand Bündnis 90/Die Grünen NRW; BÖRJE WICHERT, Sprecher Bündnis 90/Die Grünen Bezirksverband Ruhr; JOHANNA BEESTEN, Sprecherin Bündnis 90/Die Grünen Kreisverband Münster; HANS-CHRISTIAN MÜLLER, Bündnis 90/Die Grünen Kreisverband Köln

Langfassung des Papiers unter www.generation-gerechtigkeit.de