: berliner szenen Gilliams Skulpturen
„Ich seh den Kaiser“
Potsdamer Platz am Abend. Nicht richtig voll, auch nicht auffallend leer, nur dieser ganz normale Leuteflow von hier nach da. Der britische Filmregisseur Terry Gilliam (mit dem obligaten „Monty Python“ in der Klammer) hat hier ein künstlerisches Projekt hingestellt. Es heißt „past people of Potsdamer Platz“ und besteht aus vier, vielleicht 1,65 m großen, aus rostbraunem Hartplastik gefertigten, dicken Skulpturenmännchen. Sie tragen Mäntel und Regenschirme und haben keinen Kopf.
Man meint, sie irgendwo schon einmal gesehen zu haben, in einem Zeichentrickfilm vielleicht. Wo die Figuren keine Köpfe haben, steckt man seinen eigenen rein und schaut dann auf einen Monitor, in dem historische Potsdamer-Platz-Szenen laufen. Zwei Männchen sind für die Zeit nach dem 2. Weltkrieg zuständig, zwei für die Jahre davor. Es gibt Archivaufnahmen: Bücherverbrennung, Demonstrationen und wie's aussah 89. Jemand sagt: „Ich seh den Kaiser. Und eine Straßenbahn fährt ab.“ Ein paar Kollegen machen Fotos und Notizen und einer erzählt, wo die Eröffnungsparty ist.
Am Rande spielt ein Mongole Geige. Ein alkoholisierter Flaschensammler mit Hartz IV bittet um Kleingeld und zeigt uns seine vielen Narben. Er sagt: „Ich hab auch einen Betreuer“, und flüstert mir ins Ohr: „Ich hab schon zweimal abgebrochen.“
In den Hälsen der Figuren ist es stickig. Wenn man auf einen roten Knopf drückt, wird man fotografiert und vielleicht auch veröffentlicht, als 40 Meter großes, undeutliches Halogenlampenbild auf dem runden Haus nebenan zwischen anderen Persönlichkeiten. Das Ganze ist aber nicht so das Wahre bzw. „zugegebenermaßen etwas unglücklich“, wie ein Passant formuliert.
DETLEF KUHLBRODT