: Klimabündnis will sich mehr Zeit lassen
1.400 europäische Städte haben sich zusammengeschlossen, um die globalen Klimaziele auf kommunaler Ebene umzusetzen. Zunächst wollten sie ihre CO2-Emissionen bis 2010 halbieren. Das war offenbar zu ehrgeizig. Nun geben sie sich Zeit bis 2030
AUS WIEN RALF LEONHARD
Wo kann das Klimaziel liegen? Diese Frage stellte sich das Europäische Klimabündnis in den vergangenen zwei Tagen auf seiner Mitgliederversammlung in Wien. Die Antwort fiel bescheiden bis realistisch aus: Die Delegierten der insgesamt 1.400 europäischen Städte und Gemeinden streckten ihre bisherige Vorgabe um 20 Jahre. Damit legten sie sich darauf fest, den Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid erst bis zum Jahr 2030 um die Hälfte zu verringern. Bislang hatten sie das bis 2010 schaffen wollen. Die Reduzierung soll etappenweise erfolgen – alle fünf Jahre um jeweils 10 Prozent. „Das sind überschaubare Perioden, in denen Politiker denken“, sagte Wolfgang Mehl, der Geschäftsführer des Klimabündnisses Österreich.
Zudem beschlossen die Delegierten, das CO2-Äquivalent pro Person und Jahr auf 2,5 Tonnen zu senken. Derzeit nähert sich der Wert der 8-Tonnen-Grenze. Eine Frist wagte man nicht festzusetzen.
Das Klimabündnis ist eine Vereinigung von europäischen Gemeinden, die sich selbst verpflichten, die weltweiten Vorgaben zur Schadstoffreduktion auf kommunaler Ebene zu erfüllen – oder zu übertreffen. Zugleich unterstützen sie Partner im Regenwald bei der Erhaltung ihrer Lebenswelt. Gegründet wurde das Bündnis rund um die UNO-Klimakonferenz von Rio 1992. Heute gehören ihm allein in Österreich über 600 Gemeinden an, in Deutschland sind es um die 400.
Nur wenige Kommunen haben ihre Ziele schon erreicht. Das habe mit der heterogenen Struktur des Bündnisses zu tun, meint Thomas Brose, der Interims-Geschäftsführer des Klimabündnisses Deutschland: Neben Kleingemeinden sind auch Großstädte wie Berlin, Hamburg, München oder Wien Mitglied.
Für Kritiker ist die Ausbeute dennoch zu gering. Christian Salmhofer vom Klimabündnis Kärnten etwa hält die Praxis in vielen Gemeinden für eine Farce. So sei der Umstieg auf Biolandbau ein wesentlicher Schritt. Stattdessen werde aber Biosprit gefördert. „Und statt der Förderung des öffentlichen Verkehrs wird der Autowahn maximiert.“
Tatsächlich sind viele Kommunalpolitiker für Fototermine und Reisen in die Tropen gern zu haben. Umweltpolitisch dagegen sind viele ihrer Maßnahmen umstritten. So gibt es Differenzen darüber, ob Autokonzerne als Sponsoren auftreten dürfen. Oder ob Biodiesel tatsächlich propagiert werden soll – er kann auch aus genmanipulierten oder umweltzerstörenden Pflanzen wie Soja, Raps oder Ölpalmen hergestellt werden. In Österreich beispielsweise ist die Beimengung von rund 5 Prozent Biosprit zum Diesel gesetzlich vorgeschrieben. Da das mit der eigenen Produktion gar nicht zu leisten ist, muss aus Übersee zugekauft werden. Auf dem letzten Klimagipfel 2004 wurde der Einsatz gentechnisch veränderter Pflanzen abgesegnet, die angeblich mehr CO2 speichern. Auch nach dem Kioto-Protokoll kann der Anbau von Gentech-Monokultur-Plantagen als Entwicklungshilfe und als CO2-Einsparung im eigenen Land angerechnet werden. André Fernando, Vizepräsident der brasilianischen Partnerorganisation Foirn, zeigte dagegen Satellitenbilder, wie das Vordringen von Sojamonokulturen den Regenwald am oberen Rio Negro zerstört.
Das Klimabündnis könne bei solchen Widersprüchen zwischen Theorie und Praxis nicht einschreiten, sagte Brose vom Deutschen Klimabündnis: „Dazu gibt es die Zivilgesellschaft.“ Diese müsse die Erfüllung der Vorgaben von der Politik einfordern. Dann kann es allerdings passieren, dass Städte oder Gemeinden nach einem politischen Wechsel wieder austreten. Begründung: Kein Geld für die Umwelt.
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