: In der Realität angekommen
RÜCKTRITT Steuer-Deal-Affäre: Kieler SPD-Oberbürgermeisterin nimmt den Hut. Gaschke: „Ein zerstörerisches Spiel“
AUS KIEL ESTHER GEISSLINGER
Pünktlich um zwölf Uhr trat Susanne Gaschke in die Rotunde des Kieler Rathauses, wo sich hinter Absperrbändern Kamerateams, JournalistInnen und Rathausbeschäftigte drängten. Die SPD-Politikerin, die seit Wochen in der Kritik steht, weil sie einem Kieler Arzt Steuerschulden in Millionenhöhe erlassen hatte, sah blass aus, gab sich aber weiter kämpferisch. Ihren Rücktritt vom Amt der Oberbürgermeisterin verband sie mit neuen Angriffen auf die „Funktionäre der Landesregierung“ und die Medien, besonders auf die „örtliche Monopolzeitung“ Kieler Nachrichten, bei der Gaschke selbst Journalismus gelernt hatte.
Mit ihrem Ausscheiden – mit dem Gaschke einer Rücktrittsforderung des Stadtrats sowie einem möglichen Abwahlverfahren zuvorkam – ist die Affäre aber noch nicht beendet. So wird zurzeit geprüft, wie sich der „Steuerdeal“, den die Kommunalaufsicht für rechtswidrig erklärt hat, rückabwickeln lässt. Die Staatsanwaltschaft untersucht, ob sie gegen Gaschke ein Verfahren wegen Untreue eröffnet.
Auch die politischen Folgen werden das Land noch eine Weile bewegen, nachdem wochenlang hochrangige SPD-Mitglieder auf offener Bühne stritten: Inzwischen ermittelt die Bundesanwaltschaft gegen Gaschkes Ehemann, den Bundestagsabgeordneten Hans-Peter Bartels, wegen des Vorwurfs der Nötigung. Bartels hatte nach Bekanntwerden des rechtswidrigen Steuerdeals Innenminister Andreas Breitner per SMS mitgeteilt, er erwarte, dass sich Ministerpräsident Torsten Albig nun schützend vor Gaschke stelle.
Ein „zerstörerisches Spiel“ nannte Gaschkes in ihrer Abschiedsrede den Politikbetrieb, geprägt von „testosterongesteuerten Politik- und Medientypen“. An deren „kleinlichen Ritualen“ sei sie als Frau und Seiteneinsteigerin gescheitert, erklärte Gaschke: „Ich wollte Offenheit, ich wollte Vertrauen.“ Während „wildfremde Menschen“ auf der Straße dafür Verständnis hätten, sei ihr im Rathaus, in der Landespolitik und aus den Medien „Hass begegnet“.
Stellvertretend für die Gescholtenen reagierte SPD-Landeschef Ralf Stegner: Die persönlichen Vorwürfe seien bedauerlich und in der Sache nicht nachvollziehbar, weiter kommentieren wolle er die Bemerkungen aber nicht, „aus Rücksicht auf Susanne Gaschke und den erforderlichen Neuanfang“. Für die Rücktrittsentscheidung gebühre ihr Respekt: „Sie hat damit weiteren Schaden von Kiel und der Nord-SPD abgewendet.“ Und: Der Fall enthalte eine „persönliche Tragik“.
Denn Gaschke hatte eine Stelle als Redakteurin der Wochenzeitung Die Zeit aufgegeben, um sich auf das Abenteuer als Kommunalchefin einzulassen. Es sei ihre spannendste Aufgabe, sagte die 46-Jährige vor gut elf Monaten, als sie als Nachfolgerin des jetzigen Ministerpräsidenten Albig gewählt wurde. Gaschke hatte vorher einen parteiinternen Machtkampf gewonnen mit dem Versprechen, das Amt weniger als Verwaltungsposten, sondern vor allem als politisch wahrnehmen zu wollen. Zu ihrer Zukunft sagte sie gestern nur: „Machen Sie sich keine Sorgen.“
Nach ihrer Rede – nach der Gaschke keine Fragen zuließ – gab es Beifall von den umstehenden Rathausbeschäftigten. Mitgefühl mag mitgeschwungen haben, Anerkennung für die Entscheidung, vermutlich auch Erleichterung, dass das wochenlange Gezerre ein Ende hat.
„Die vergangenen Wochen waren schwierig“, sagte Bürgermeister Peter Todeskino (Grüne). Er hat die Aufgabe übernommen, den Steuerdeal mit dem Augenarzt und Klinikbetreiber Detlef Uthoff aufzuarbeiten. Dabei geht es auch um die Frage, wie es in der Verwaltung zu einer Entscheidung kam, die die Kommunalaufsicht des Landes als formal wie auch sachlich rechtswidrig einstuft. Auch gegen das EU-Beihilferecht verstoße der Entscheid, mit dem die Stadt zugunsten des Klinikchefs auf 3,7 Millionen Euro Mahngebühren verzichtete. Das Land hat die Stadt aufgefordert, einen Vorschlag auszuarbeiten, wie das Abkommen mit dem Klinikbetreiber rückgängig gemacht werden kann.
In Kiel muss nun in spätestens sechs Monaten eine neue OberbürgermeisterIn gewählt werden. Den Hut in den Ring geworfen hat noch niemand.