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Archiv-Artikel

Unerfüllte Träume

Jens Nowotny wird Leverkusen verlassen. Sein letzter Heimauftritt endete wie Vieles in seiner Karriere: bittersüß

LEVERKUSEN taz ■ Ein Freund großer Gefühlsausbrüche war Jens Nowotny noch nie. Es wirkte daher wie eine Fügung des Schicksals, dass die Dramaturgie seines Abschiedes aus Leverkusen gründlich in die Hose ging und kaum jemand die letzten Momente des Innenverteidigers auf dem Rasen der BayArena würdigte. Nach 90 Minuten der Partie gegen Nürnberg wurde Nowotny ausgewechselt, es stand 2:1 für Leverkusen, „ich wollte ihm die Möglichkeit geben, sich hier zu verabschieden“, erklärte Trainer Michael Skibbe. Doch Gonzalo Castro, der aufs Feld geschickt wurde, war einen kurzen Moment desorientiert, und deshalb kamen die Nürnberger Sekunden nach dem Wechsel zum 2:2-Ausgleich. „Da haben sich die Dinge überschlagen, ich hatte keine Zeit, die Momente zu realisieren“, sagte der scheidende Ex-Kapitän. Zu allem Überfluss besitzt Hertha BSC Berlin aufgrund dieses Tores bei drei Punkten und zehn Toren Rückstand noch die theoretische Chance, den fünften Platz der Leverkusener zu erobern, man verzichtete deshalb auf Rituale wie Bierduschen und ähnliche Saisonbeendigungsbräuche.

„Leider ist es ja so, dass meist die negativen Sachen hängen bleiben“, sagte er und erzählte von seiner intensivsten Erinnerung: „Das war, als ich das Champions League Finale im Fernsehen sehen musste“, einer seiner vier Kreuzbandrisse hinderte ihn an einer Teilnahme. Schwere Verletzungen gehören ebenso zu seiner Leverkuser Zeit wie Christoph Daums Kokainaffäre, vier bisweilen tief traurige Vizemeisterschaften und der Status der Titellosigkeit. Zuletzt hat der 32-Jährige um Geld gestritten mit seinem Klub, es ging um viele Millionen Euro. Zum Abschied erhält er sein vertraglich festgeschriebenes Gehalt bis 2008: 4,7 Millionen Euro.

Das ist Teil einer Einigung, die der Klub nach allerlei juristischem Gezänk mit Nowotny getroffen hat, Wäre er in Leverkusen geblieben, hätte er dieses Geld zwar auch bekommen, so allerdings kann er zusätzlich das Gehalt eines neuen Klubs kassieren. Nowotny, ein vielfacher Millionär, konnte sich nie des Eindrucks erwehren, Geld sei ihm wichtiger als der Klub.

Das Verhältnis zu den Fans war deshalb zuletzt gespalten, auf der einen Seite der „Protz-Profi“ (Bild) auf der anderen Seite der Sportler, dessen Rückkehr ins Abwehrzentrum zu den elementaren Gründen für die Siegesserie von sechs Spielen in Folge zwischen dem 27. und dem 32. Spieltag gehört. Leverkusen avancierte mit Nowotny als Abwehrchef zur besten Rückrundenmannschaft. „Jens hätte uns auch in der kommenden Saison gut zu Gesicht gestanden, er ist ein tadelloser Sportsmann mit einer großen Ausstrahlung, er stellt etwas dar“, sagte Skibbe.

Es gibt Gerüchte über ein Tauschgeschäft mit Borussia Dortmunds Christoph Metzelder, über einen Wechsel nach Kroatien, auch der AC Florenz soll Interesse haben. Nowotny äußert sich nicht dazu. Da das Innenverteidigerkarussell in der Bundesliga noch kräftig in Schwung geraten könnte (Simunic, Metzelder, van Buyten, Lucio, Bordon, Mertesacker sind sämtlich Objekt von ausufernden Transferspekulationen), wird Nowotny aber wohl eher noch etwas mit der Entscheidung über seine Zukunft.

Die soll mit einer Weltmeisterschaftsteilnahme beginnen. Bundestrainer Jürgen Klinsmann hat einen „fairen“ Wettkampf um die letzte vakante Innenverteidigerposition in seinem Kader angekündigt, die Kandidaten sind der 45-malige Nationalspieler Nowotny, der Mainzer Manuel Friedrich und der Kölner Lukas Sinkiewicz. Da es diesem Mannschaftsteil eklatant an internationaler Erfahrung fehlt, gelten die Chancen Nowotnys als gut. Nowotny sagte von einiger Zeit, im Falle seiner Nominierung gehe „ein Traum in Erfüllung“. Vielleicht hat er dann ja endlich ein paar Fußballerinnerungen, die mit positiven Gefühlen verbunden sind.

DANIEL THEWELEIT