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Archiv-Artikel

Entschleunigung spart Milliarden

VERKEHR In den Koalitionsverhandlungen wollen Union und SPD nach neuen Geldquellen für Infrastrukturprojekte fahnden. Dabei gibt es längst Lösungen – die Schweiz ist vielfach Vorbild

Experten halten die Verkehrsfinanzierung für chronisch kurzatmig, daher extra teuer

HAMBURG taz | Natürlich weiß auch Peter Ramsauer, dass eine Autobahnmaut für Ausländer mit EU-Recht nicht vereinbar ist – egal was seine CSU derzeit bei den Koalitionsverhandlungen fordert. „Die einseitige Mehrbelastung ausländischer Verkehrsteilnehmer käme faktisch einer Diskriminierung gleich“, hieß es noch vor einem Jahr in einem Schreiben aus dem Haus des Verkehrsministers, das am Dienstag bekannt wurde.

Doch der Verkehrssektor braucht dringend mehr Geld. Die Möchtegern-Koalitionäre von CDU, CSU und SPD sträuben sich noch, höhere Steuern oder mehr „Öffentlich-Private Partnerschaften“ bei Infrastrukturprojekten zuzulassen. Dabei ist der Zustand vieler Bauwerke erschreckend: Allein in Nordrhein-Westfalen sind laut einer Untersuchung von 152 Brücken an Autobahnen und Bundesstraßen 71 dringend sanierungsbedürftig. Das sommerliche Stellwerk-Chaos im Mainzer Hauptbahnhof zeigte neben der irren Personalplanung der Bahn auch eins: die Überalterung der Bahntechnik im ganzen Land. Wie die Milliardenlöcher im Verkehrsetat zu stopfen sind, baldowern die Parteistrategen derzeit aus. Verkehrsexperten haben längst Lösungen parat: Baustopp für neue Projekte, eine Lkw-Maut auf allen Straßen oder einen Bahninfrastrukturfonds wie in der Schweiz.

„Es wurde extensiv geplant und Reparaturen nicht berücksichtigt“, sagt Helmut Holzapfel, Mobilitätsexperte von der Universität Kassel. Das gelte auch für den aktuellen Bundesverkehrswegeplan. Mit ihm fließen bis 2040 die Finanzmittel vor allem in Neubauten – derweil verfallen Brücken in den Ballungsgebieten, überlastet der Schwerlastverkehr die Schienenstrecken, gleichzeitig versinken viele Gemeinden in Schlaglöchern.

Hermann Knoflacher, Verkehrsexperte von der TU Wien, plädiert für eine Entschleunigung, beispielsweise eine Reduzierung der Autogeschwindigkeiten auf 100 und 80 Kilometer pro Stunde. „Dadurch erhalte ich eine wesentlich höhere Lebensdauer der Straßen.“ Das spare milliardenschwere Erhaltungskosten.

Experten halten die deutsche Verkehrsfinanzierung für chronisch kurzatmig und daher extra teuer. In der Schweiz ist man weiter. Nicht nur, dass das Transitland derzeit überlegt, die seit 1984 bestehende Autobahnmaut für alle von derzeit 40 auf satte 100 Franken zu erhöhen.

Auch bei der Finanzierung ihrer superpünktlichen und gut ausgebauten Bahn sind die Nachbarn innovativer. So soll der neue Bahninfrastrukturfonds (BIF) alle bisherigen Finanzquellen bis 2025 vereinigen. Mit ihm sollen Betrieb, Unterhalt und Ausbau des Bahnnetzes finanziert werden. Der Clou: Der Fonds wird mit automatisch fließenden Einnahmen ausgestattet. Dafür erhöhen Bund und Kantone ihre Beiträge, gleichzeitig erhalten Pendler weniger Steuernachlässe. Auch die Nutzer zahlen via höheren Ticketpreisen mit.

Der Charme einer solchen Fondslösung liegt für viele in seiner Langfristigkeit. Im Februar wollen die Eidgenossen über das Modell abstimmen. Auch beim Umgang mit dem Thema Schwerlastverkehr ist die Schweiz Vorbild. Lkw zahlen dort auf allen Straßen Maut. Dafür gibt es gute Gründe: Ein Brummi nutzt laut einer Faustformel die Straße so stark ab wie 50.000 Pkw. In der Verkehrspolitik führe die direkte Demokratie der Schweiz zu besseren Ergebnissen als in Deutschland und Österreich mit ihren indirekten Demokratien, sagt Hermann Knoflacher von der TU Wien. Entscheidend sei, dass „die Politiker in der Schweiz kein Geld haben“. Daher müssten sie für große Infrastrukturprojekte die Bürger fragen – und die hätten in der Vergangenheit oft nein gesagt.

Hermannus Pfeiffer