Fürbitte in der Gypsy-Lounge

Der Hamburger Hafengeburtstag ist eine Riesensause mit Remmidemmi ohne Ende. Nur die Hamburger Sinti feiern mitten im Trubel einen Gottesdienst – den ersten, den die katholische Kirche in der Hansestadt extra für sie abhält. Bisher haben die katholischen Zigeuner im kleinen Kreis gebetet

Von Ralf Lorenzen

Im hektischen Treiben des Hafengeburtstages findet sich ausgerechnet unterm Riesenrad eine beschauliche Oase. Hier betreibt die Familie Rosenberg wie jedes Jahr ihre gemütliche Gypsy-Lounge mit Fleischspießen, Sinti-Jazz und Wahrsagen. Sonntag Mittag kurz vor der Auslaufparade der Schiffe ist die Atmosphäre noch besinnlicher als sonst, denn die Hamburger Sinti begehen ihren ersten „katholischen Zigeuner-Gottesdienst“.

Familien-Oberhaupt Wolkly Rosenberg hat den Pfarrer Wolfgang Patzelt vor Jahren bei der Taufe seines Enkels kennen gelernt. Patzelt ist Beauftragter des Bistums Hildesheim für die Sinti und Roma. „Bis dahin wusste ich gar nicht, dass es einen Pfarrer für die Zigeuner gibt“, sagt Rosenberg. Normalerweise üben die überwiegend katholischen Sinti ihren Glauben im stillen Kämmerlein aus oder werden von den Missionaren der freien Kirchen angezogen, wie Rosenberg berichtet: „Die katholische Kirche hat lange nicht unsere Nähe gesucht.“

„Ich habe mich extra fein angezogen, um mich bekannt zu machen“, begrüßt Wolfgang Patzelt von der Bühne aus rund fünfzig Zuhörer auf den Bänken, je zur Hälfte Sinti und neugierige Hafengeburtstags-Touristen. Tatsächlich bietet er mit der schwarzen Soutane, der weißen Stola und dem runden Hut einen feierlichen Anblick. Hinter ihm hängt das Bild einer schwarzhaarigen Tänzerin. „Man könnte meine, diese schöne Frau sei eine Sintezza“, beginnt der Pfarrer seine Predigt und erzählt die Geschichte der Prophetin Miriam, die beim Auszug der Israeliten aus dem Sklavenhaus ihrem Volk mit Paukenschlag und Tanz vorausging, als Gleichnis für die Befreiung eines Volkes.

Seit zwei Jahren bemüht sich Wolfgang Patzelt um den Kontakt zu den Sinti und Roma in Norddeutschland. „Der Anfang war sehr schwer, sie redeten nicht mit mir.“ Nach und nach besuchte er Sinti und Roma zu Hause, im Krankenhaus und im Gefängnis. „Man muss die Herzen aufschließen“, sagt er und bekennt, dass er selbst gern ein Sinto wäre. Inzwischen wird er als Pfarrer ehrfürchtig behandelt. „Weil sich niemand um sie gekümmert hat, sind viele Zigeuner zu Sekten abgewandert“, sagt er. „Sie haben eine handfeste Frömmigkeit und wollen wissen, mit wem sie es zu tun bekommen.“ Im Himmel und auf Erden.

Diesem Wunsch kommt Patzelt mit zupackender Sprache entgegen und dankt „dem lieben Gott, dass es nicht Schusterjungen regnet“. In seinen Fürbitten geht er zunächst auf den Völkermord an den Sinti und Roma ein: „Gott heile die Wunden und lindere die Schmerzen, an denen viele Sinti noch heute sehr zu leiden haben.“ Der Gemeinde merkt man beim gesungenen „Herr erbarme dich“ die ungewöhnliche Zusammensetzung an. Erst als der Pfarrer an ihr kulturelles Selbstbewusstsein appelliert, werden die Stimmen kräftiger: „Gib, dass die Sinti und Roma zusammenhalten und dass sie stolz auf ihre alte Kultur sind und diese mit Herz und Verstand pflegen.“

Musikalisch wird der Gottesdienst vom Geiger Alfred Lora und dem Jazz-Harfenisten Reinhold Frantz begleitet. „Es war eine große Freude, bei diesem schönen Gottesdienst mitzumachen“, sagt der 80-jährige Lora. „In manchen Gemeinden sind wir Zigeuner ja nicht willkommen.“ Der Begriff „Zigeuner“ wird heute selbstverständlich und ohne Scheu benutzt. „Ich sage das ja nicht spöttisch oder abfällig“, erklärt Patzelt.

„Sonst bete ich immer zu Hause“, sagt Rubina Rosenberg, die extra für den Gottesdienst hergekommen ist und sich freut, dass mal ein Pastor für sie da ist. Vielleicht hat sie künftig öfter die Gelegenheit, denn auch im Erzbistum Hamburg überlegt man, einen eigenen Beauftragten für die Sinti und Roma zu ernennen. Kommenden Donnerstag sind sie zum ersten Mal beim Bischof zur Audienz geladen.