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Archiv-Artikel

„Diese Leute sind gegen Europa und antiegalitär“

POPLINKE Schriftsteller Will Self über Englands Konservative

Will Self

■ Geboren 1961, studierte in Oxford, lebt in London. Er war Punkmusiker, dann Journalist, Zeichner Kolumnist. Seit den 1990er-Jahren erfolgreicher Schriftsteller.

■ Auf Deutsch sind zuletzt erschienen die Romane: „Dorian“ (Berlin Verlag, 2007) und „Wie Tote leben“ (Luchterhand, 2002).

INTERVIEW JULIA GROSSE

Will Self ist Englands unbequemer Held: Vielfach ausgezeichneter Schriftsteller, Kritiker, Zeichner und Journalist, war er Mitglied der Punkband The Abusers und ist bekannt für seine psychogeografischen Stadterkundungen. Unsere Korrespondentin traf ihn in London.

taz: Herr Self, wird die neue Regierung aus Konservativen und Liberaldemokraten funktionieren? Will Self: Ich glaube kaum. In spätestens einem Jahr könnte es Neuwahlen und dann eine alleinige Tory-Regierung geben. Und dann geht der Spaß erst richtig los. Glücklich macht Sie das anscheinend nicht? Nun, das Paradoxe ist ja, dass es zumindest der Kulturproduktion, frei arbeitenden Künstlern auf eine Art sogar helfen kann. Inwiefern? Schlechte wirtschaftliche Zeiten und Unzufriedenheit mit der Regierung sind tendenziell gute Zeiten für Kreativität. Denken Sie an Damien Hirst, Tracey Emin und die Vertreter der Young British Artists. Die haben während der Thatcher-Regierung angefangen und die britische Kunstszene mit ihrem neuen Ansatz enorm geprägt. In der Zeit hat man sich interessante alternative Räume und Strukturen geschaffen. Staatlich geförderte, unterstützte Künstler sind selten spannend. Es braucht den Mangel, um wirklich gute Kunst zu machen? Springen Sie mir jetzt nicht an die Gurgel, aber die größte, künstlerische Explosion fand in Deutschland während der Weimarer Republik statt! In Momenten, in denen die Umstände dermaßen auswegslos sind, dass Leute gezwungen sind, kreativ zu denken, sich gedanklich freizumachen. Das gilt übrigens auch für die Konsumenten, denn die werden in Zeiten intensiver Kulturproduktion auch ganz anders, nachhaltiger beeinflusst. Was soll man von Kunst haben, die man konsumieren kann wie Drinks oder Schokolade? Mit den Konservativen an der Macht: Wird Sie das beeinflussen in Ihrem Schaffen als Autor und Kritiker? Ich werde mich natürlich damit in meiner Arbeit beschäftigen, ebenso wie ich es mit dem absurden Boom der vergangenen Jahre getan habe. Doch es wird mich nicht grundlegend beeinflussen, aus meinen Verankerungen reißen. Dafür bin ich zu alt und etabliert in Bezug auf meine eigene Kreativität. Spannender wird die Frage, was das Ganze für eine Auswirkung auf junge Kreative haben wird. Wieso? In den vergangenen zehn, zwanzig Jahren empfand ich die Avantgarde in Großbritannien als relativ leblos, fast tot. Auch gibt es keine Beziehung zwischen einer Avantgarde und einer kulturellen Mainstreambewegung. Und an diesem Punkt denke ich wieder, dass die Rezession und dieser Regierungswechsel ein Feld für neue Avantgarden schaffen könnte. Es gibt dieses grandiose, doch auch völlig desillusionierende Foto von Tory-Chef David Cameron, der eine Sozialsiedlung besucht und nicht den Teenager in Kaputzenpulli bemerkt, der hinter seinem Rücken mit der Hand eine Waffe formt und auf ihn zielt. Werden sich die Klassenunterschiede noch mehr verhärten unter den Tories? Das denke ich schon. Die britische konservative Oberschicht wird durch die neue Regierung definitiv wieder aufleben und an Selbstbewusstsein gewinnen, all diese alten Eliten, alten Eton-Schüler, alten Oxford-Absolventen. Ich habe selbst in Oxford studiert, ich weiß, was das für Leute sind. Es sind absolute Snobs, die unter sich nach wie vor in diesem absolut antiquierten, feinen Akzent sprechen. Diese Leute sind antieuropäisch, antiegalitär und pflegen einen unterschwelligen Rassismus. All das wird jetzt wieder hochkommen. Kingt ungemütlich. Diese Wahl hat vor allem deutlich gezeigt, dass in diesem Land momentan keinerlei Appetit auf progressive Politik herrscht. Die Liberaldemokraten sind die einzige Partei, welche fortschrittliche Strategien anbietet, allen voran Asyl für illegale Einwanderer, die mehr als zehn Jahre hier sind. Diesen Punkt bewerte ich, ehrlich gesagt, als wichtigsten Gradmesser dafür, wie offen und tolerant eine Gesellschaft ist. Die Liberaldemokraten sind jetzt Teil der neuen Regierung, haben bei der Wahl aber eher enttäuschend abgeschnitten. Und ich glaube, dass sie gerade der Punkt um die Asylfrage viele Stimmen gekostet hat. Die Briten fühlen sich immer noch tendenziell bedroht vom Fremden. Was die Liberaldemokraten betrifft, sind sie fürs Erste erledigt. Das war’s. Für die Linken sind sie die Verräter, die sich auf die Tories eingelassen haben. Und die Rechten stehen natürlich zu den Konservativen. Nick Clegg tut mir wahnsinnig leid. Kommt jetzt die Reform des Wahlrechts, das die Liberalen und kleinere Parteien benachteiligt?Soll das ein Witz sein? Das wird es niemals geben! Zwar wird so getan, als würde man hitzig hinter den Kulissen darüber diskutieren. Doch ernsthaft wird das nicht in Betracht gezogen.