: In Sofia ein Schein von Ordnung
AUS DEM CAFÉ BULGARIADILJANA LAMBREVA
Bulgarien ist ein Land mit beneidenswerter Kaffeekultur. Sie stammt aus der Osmanenzeit und hat sich im neuen bulgarischen Staat ab 1885 in den prunkvollen Wiener Konditoreien weiterentwickelt. In dem gemütlichen Ambiente der beiden Kaffeehäuser Zar Osvoboditel und Bulgaria konnte man nach der Jahrhundertwende immer Intellektuelle und Prominenzen bei einem Kaffee debattieren sehen.
Deshalb wurde in Bulgarien die Initiative, am Europatag Lesungen in Kaffeehäusern europäischer Städte zu veranstalten, freudig aufgenommen. Dass es ein großes politisch-kulturelles Ereignis war, zeigte die Anwesenheit des bulgarischen Premiers Sergei Stanischew, des österreichischen Botschafters Karl Diem, des Leiters der Delegation der EU-Kommission in Sofia, Dimitris Kurkulas, und vieler bekannter Intellektueller.
Das große und helle Kaffeehaus Bulgaria, dessen Tische mit verführerischen Süßigkeiten reich gedeckt waren, konnte gestern kaum allen Besuchern Platz bieten. Alle wollten sie hören, die bulgarische Lyrikerin Mirela Iwanowa. Sichtlich gerührt trug sie zwei ihrer Texte vor. Dabei fiel auf: Das emphatische Verhältnis der Südosteuropäer zu Europa prägt nicht nur persönliche Lebensgeschichten, es konstruiert die ganze moderne Kultur der Region.
„Europa ist eine Lebens- und Geisteskomplexität“, sagte Ivanova, „eine scheinbare Ordnung, die all unsere menschlichen und natürlichen Unvollkommenheiten und Talente in sich vereint. Europa ist eine dauernde Aufforderung zur Toleranz gegenüber anderen, ein guter Platz für die Existenz von Parallelwelten, die ohne einander nicht existieren könnten. Europa ist Teil meiner Biografie, Geschichte und Freiheit. Kein Kontinent, sondern ein Staat des Geistes und der Worte. Ein Mensch, in dem unendlich viele Menschen zusammenleben.“
Doch nicht alle sehen sich vor dem EU-Beitritt an der Schwelle zum Paradies des freien Geistes. Das machte die Diskussion klar. „Die Bulgaren leben schon lange in der Utopie der kommenden EU-Mitgliedschaft“, meinte ein Medienexperte. „Hoffentlich ist das die erste europäische Utopie, die nicht durch Ideologie getötet wird.“
Das Ereignis „Café d’Europe“ verlief in Sofia wohl ähnlich wie in den anderen europäischen Städten. Doch in Bulgarien und Rumänien war es anders aufgeladen. Zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die Menschen das Gefühl, Teil der Debatte in Europa zu sein. Bevor Bulgarien EU-Mitglied werden wird, war es die Literatur, die stets deutlich gemacht hat, dass dieses Land kulturell nie von Europa getrennt war und es und nie sein wird.