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Archiv-Artikel

Urteil für Anstand und Moral KOMMENTAR VON CHRISTIAN RATH

Das Essen von Menschenfleisch ist widerlich. Das Abschneiden von Penissen ist abscheulich. Und wer das Ganze auch noch auf Video aufnimmt, leidet unter einer für die Allgemeinheit kaum erträglichen Perversion. Daraus ergibt sich aber noch nicht zwingend, dass Armin Meiwes, der „Kannibale von Rotenburg“, ein Mörder ist und lebenslänglich ins Gefängnis muss.

Das Landgericht von Frankfurt am Main hat sein Mord-Urteil darauf gestützt, dass Meiwes die Tat gefilmt hat, um später beim Betrachten des Videos zu onanieren. So kann man argumentieren und muss es wohl auch, wenn man eine Aufhebung des Urteils durch den Bundesgerichtshof vermeiden will. Zwingend ist das freilich nicht, wie das erste (vom Bundesgerichtshof kassierte) Urteil des Landgerichts Kassel zeigte. Da Meiwes bei der Tat selbst nicht sexuell erregt war, diente die Tötung des Opfers auch nicht der Befriedigung des Geschlechtstriebs.

Wenn beide Auslegungen möglich sind, dann argumentieren die Richter aber offensichtlich ergebnisorientiert. Der BGH und die Frankfurter Richter wollten wegen Mordes verurteilen, die Kasseler Richter wollten dagegen genau das vermeiden, weil ihnen die Strafe zu hart erschien.

Richtig war der zurückhaltendere Kasseler Ansatz. Das Strafgesetzbuch stellt den Mord nicht unter Strafe, um ekelhaftes und widerwärtiges Verhalten zu verhindern, sondern um das Rechtsgut Leben zu schützen. Und deshalb darf auch die Perspektive des Opfers nicht ignoriert werden. Bernd Jürgen Brandes wollte, dass ihm der Penis abgeschnitten wird, danach wollte er sterben, und er war auch damit einverstanden, dass sein Fleisch anschließend von Meiwes aufgegessen wird. Da haben sich zwei Perverse gefunden, die sich ideal ergänzten.

Letztlich war der Getötete eben nicht nur Opfer, sondern auch Mittäter seiner eigenen Tötung.

Es ist kaum vertretbar, dass es im Ergebnis keinen Unterschied machen soll, ob das Opfer mit seiner Tötung einverstanden ist oder nicht. Wer hier die Höchststrafe „lebenslänglich“ verhängt, hat offensichtlich vor allem die öffentliche Moral und das kollektive Anstandsgefühl im Blick.

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