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Archiv-Artikel

Keine Verschlusssache

Der Untersuchungsausschuss ist nötig, um das Verhältnis zwischen Vertraulichkeit und demokratischer Kontrolle der Sicherheitsbehörden zu klären

Nur Außenminister Steinmeier muss – theoretisch – umsein Amt bangenDie Regierung bestritt auch Vorwürfe,die gar nicht erhoben worden waren

VON BETTINA GAUS

Was soll schon herauskommen. Kommt doch nie etwas heraus bei diesen detailverliebten Endlossitzungen. Zeitverschwendung. Mit einem kollektiven, leicht genervten Achselzucken reagieren zahlreiche Parlamentskorrespondenten, wenn sie auf den parlamentarischen Untersuchungsausschuss angesprochen werden, der sich mit Aktivitäten des BND und anderer Sicherheitsbehörden in den letzten Jahren befasst und der heute seine Arbeit aufnimmt. Diese Reaktion ist ebenso verständlich wie oberflächlich.

Natürlich ist ein Untersuchungsausschuss, der sich mit den Aktivitäten einer abgewählten Regierung beschäftigt, für die Medien weniger interessant als einer, in dem die politische Zukunft eines amtierenden Ministers oder gar einer ganzen Koalition auf dem Spiel steht. Für Gerhard Schröder, Joschka Fischer und Otto Schily geht es allenfalls noch um das berühmte Urteil in den Geschichtsbüchern. Nur Außenminister Frank-Walter Steinmeier muss – theoretisch – um sein Amt bangen, falls der Ausschuss ihm Fehlverhalten während seiner Zeit als Chef des Kanzleramtes vorwirft oder sich herausstellen sollte, dass der im Januar verfasste Bericht für das Parlamentarische Kontrollgremium schwere Mängel enthält. Aber es ist nicht anzunehmen, dass die große Koalition eine ihrer tragenden Säulen absägen lassen wird.

Zumal Steinmeier, der die gesamte Amtszeit der rot-grünen Regierung hindurch der Beauftragte für die Bundesnachrichtendienste gewesen war, alle bisherigen Enthüllungen unbeschadet überstanden hat. Und herausgekommen ist ja bereits eine ganze Menge. Unter anderem: Der BND hat während der Angriffe auf den Irak Informationen über das Kriegsgebiet an die USA geliefert. Die CIA nutzte offenbar den US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein für geheime Gefangenentransporte. Mitarbeiter deutscher Nachrichtendienste haben Häftlinge, die ein Aufenthaltsrecht in Deutschland oder sogar die deutsche Staatsbürgerschaft hatten, im US-Gefangenenlager Guantánamo, im Nordirak und in einer syrischen Haftanstalt vernommen. Obwohl die Reisenden sich mindestens im letzten Fall der „Problematik“ einer möglicherweise unter Folter gewonnenen Aussagebereitschaft durchaus bewusst waren.

Die neue Bundesregierung hat klar gestellt, dass sie für das übergeordnete Ziel der Terrorismusbekämpfung auch die Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien in Kauf zu nehmen bereit ist, wie sie in Guantánamo praktiziert wird. Lakonisch teilte sie den Abgeordneten im Parlamentarischen Kontrollgremium mit, die Reise dorthin entspreche „dem gesetzlichen Auftrag der Nachrichtendienste“. Es sei „unabdingbar, alle Erkenntnismöglichkeiten über die Struktur der Islamistenszene in Deutschland zu nutzen, um etwaige Gefahren von Deutschland und seinen Bürgern abzuwenden.“ Alle? Wirklich alle?

Gelegentlich bestritt die Regierung gegenüber den Parlamentariern auch Vorwürfe, die gar nicht erhoben worden waren. So betonte sie, dass deutsche Stellen an der Freiheitsberaubung eines Deutschen libanesischer Abstammung durch US-Dienste im Ausland nicht beteiligt waren. Das hatte allerdings auch niemand vermutet. Ins Zwielicht geraten war lediglich der damalige Bundesinnenminister Otto Schily. Der hatte Informationen zu diesem Fall, die er vom damaligen US-Botschafter erhielt, vertraulich behandelt und nicht einmal seinen Kabinettskollegen oder dem Bundeskanzler weitererzählt.

Die Bundesregierung – die neue, nicht etwa die alte! – findet das ganz richtig so. Weil sonst die Gefahr einer „erheblichen und nachhaltigen Beschädigung der deutsch-amerikanischen Beziehungen“ bestanden hätte. Wenn das kein Freibrief für alle möglichen Aktivitäten ist.

Die Opposition hat lange gebraucht, um sich auf die Forderung nach einem Untersuchungsausschuss und auf einen genauen Arbeitsauftrag zu einigen. Das hängt zum einen damit zusammen, dass die Grünen keine Lust haben, sich von einem ungewöhnlichen Bündnis aus FDP und Linkspartei rückwirkend das Image der eigenen Regierungspolitik eintrüben zu lassen. Zum anderen aber auch mit dem sensiblen Gegenstand der Untersuchung: Bei Geheimdienstaktivitäten muss besonders sorgfältig abgewogen werden, welche Informationen öffentlich gemacht werden können und was aus realen Sicherheitserwägungen heraus Verschlusssache bleiben muss.

In genau dieser Überlegung aber steckt der Sinn des Ausschusses und lässt seine Arbeit nicht nur nützlich, sondern sogar zwingend geboten erscheinen. In den letzten Monaten hat sich der Eindruck verstärkt, dass sich die notwendige Vertraulichkeit bestimmter Angelegenheiten bis zu einem Punkt verselbständigt hat, an dem eine demokratische Kontrolle der Sicherheitsbehörden nicht mehr gewährleistet ist. Wenn das kein Grund für einen parlamentarischen Untersuchungausschuss ist – was dann?

Jeder Berufsstand hat seine eigene deformation professionelle. Im Bereich der nachrichtendienstlichen Tätigkeit dürften die Gräben zwischen Fachleuten und Laien besonders tief sein. Es ist nachvollziehbar, wenn Geheimdienstler, die ernsthafte Hinweise auf die Verstrickung eines Gefangenen in terroristische Aktivitäten haben, alles in Erfahrung bringen möchten, was dieser Mann zu sagen hat. Es ist auch nachvollziehbar, wenn sie öffentliche Kritik für weltfremd, gefährlich und realitätsblind halten. Das bedeutet jedoch nicht, dass sich Abgeordnete, die ein Mandat zur Kontrolle der Sicherheitsbehörden haben, diese Weltsicht zu eigen machen müssten. Oder dürften.

Die Arbeit der Nachrichtendienste wird nun wieder über Monate zum Gegenstand öffentlicher Erörterungen werden. Das ist keine Gefährdung der Sicherheit, sondern wendet akute Gefahr vom demokratischen Staatswesen ab. Ob eine Zusammenarbeit mit ausländischen Institutionen akzeptabel ist, die Folter praktizieren oder systematisch andere Menschenrechte verletzen: Das ist eine Frage, die nicht nur abstrakt im luftleeren Raum erörtert werden kann, sondern auch mit Blick auf konkrete Einzelfälle behandelt werden muss. Der Untersuchungsausschuss hätte deshalb selbst dann einen Sinn, wenn er keinerlei neue Erkenntnisse zutage förderte. Wovon jedoch nicht auszugehen ist.