SPONTANHAUSTIERE : Mein Achtbeiner
Erst hatte ich mich schon ein bisschen erschrocken. Die Spinne war wirklich außerordentlich groß, und sie hing genau vor meiner Nase. Genauer gesagt, saß sie in der Mitte des Netzes, das sie klammheimlich am Küchenfenster hochgesponnen hatte, verankert am Rahmen und dem Zimmerefeu. Eine strategische Platzierung, denn wenn die Fruchtfliegen aus dem Biomüll Licht tanken wollten, verfingen sie sich zwangsläufig in den klebrigen Fäden.
Eine Kreuzspinne war es, schloss ich nach eingehender Musterung. Ich ließ sie einfach sitzen. Früher wäre mir das sehr schwer gefallen. Als Kind war meine Angst vor den Achtbeinern noch stärker als die vor Fahrstühlen, Sprungbrettern oder Kellertreppen, und sie hat die meisten dieser Ängste überlebt. Irgendwann wurde es dann doch besser. Natürlich würde ich noch schreien, wenn mir beim Aufwachen eine behaarte Tarantel auf der Stirn säße. Aber eine Kreuzspinne aus nächster Nähe beäugen, das geht. Ist gar nicht mal so hässlich.
Sie als Haustier zu bezeichnen, wäre verfrüht. Einen Namen kriegt sie auch nicht. Aber eine gewisse, nun ja, Seelenverwandtschaft, spüre ich schon, wenn ich mich am nächtlichen Küchentisch über den Laptop beuge und die Spinne, die tagsüber meist regungslos auf Beute wartet, ebenfalls zu arbeiten beginnt. Hier flickt sie einen Faden, zieht dort einen neuen – was in einem Raubtierhaushalt eben so zu tun ist.
Alle paar Tage entferne ich ein paar schwarze Krümel von der Fensterbank, vermutlich die Überreste ihrer Opfer. Heute klebte dazwischen schon zum zweiten Mal ein runder bräunlicher Fleck, der beim Wischen rot verschmierte. Hat meine Spinne Giftzahnfleischbluten? Abdominale Beschwerden? Bekommen ihr die Fruchtfliegen nicht oder der nahende Winter? Ich bin besorgt. Wer weiß Rat?
CLAUDIUS PRÖSSER