Zwanghaft andersrum

Die Macher im Off (4): Seine Regale haben längst Kultstatus. Dabei ist Rafael Horzon nicht bloß Geschäftsmann, sondern auch Wissenschaftler und Autor. Zum Designmai stellt er nun sein Projekt „Spiritual Zentrum“ vor

von JAN KEDVES

Man kennt ihn als Regaldesigner aus der Torstraße, er wird gern als Konzeptkünstler missverstanden, manchmal sogar als Dadaist. Er leitet eine ziemlich unübersichtliche Firmengruppe und er betätigt sich auch hin und wieder als Autor. Egal als was, Rafael Horzon ist aus Mitte nicht wegzudenken.

Möbel, Partnerschaft, Bildung, Marketing, sogar Zeitrechnung – es gibt kaum Aspekte des modernen Lebens, für die er nicht einen Vorschlag parat hätte. Ob sie vorerst nur auf Papier existieren oder schon längst umgesetzt wurden, ist zweitrangig. Ernst gemeint sind sie alle. Greifbarstes Zeugnis seines Schaffens sind die Regale aus seinem Geschäft „Möbel Horzon“ in der Torstraße. In Berliner Szenekreisen haben sie den Kultstatus von Ikeas „Billy“ längst überholt. Doch sie sind nur ein Teil, denn Horzon, ein Mann mit „unfassbar vielen Talenten“, hat einen Auftrag. Er lautet: „Die Welt angenehmer und interessanter machen.“ Wer annimmt, das sei ironisch gemeint, versteht etwas falsch. Rafael Horzon lacht nur sehr selten.

Der Geist im Pressholz

Dass er sich als „Macher im Off“ nicht richtig repräsentiert fühlt, hat er vorab bereits geklärt. Zum Gespräch treffen lässt er sich trotzdem: Horzon, 35, steht vor dem Schaufenster seines Büros „Redesigndeutschland“, ebenfalls in der Torstraße, er trägt Jeans, Hemd und Strickpulli und lässt sich von einem Passanten die Zigarette anstecken. „Redesigndeutschland“ ist eines der karg eingerichteten Ladengeschäfte, in denen Zitty bereits „urbane Penner“ vermutete. Drinnen geht es allerdings ziemlich geschäftig zu. Durch das Schaufenster sieht man, wie junge Helfer mit Akkuschraubern an Horzons neuestem Projekt werkeln: „Spiritual Zentrum“ besteht – wie seine Regale – aus MDF-Pressholz und stellt die Krönung seines nun schon zehnjährigen Wirkens in Mitte dar.

Im Mai 1996 – damals hatte der gebürtige Hamburger gerade ein Literaturstudium geschmissen – eröffnete Horzon mit Gleichgesinnten neben den Hackeschen Höfen die Galerie „Berlintokyo“. Dort wurden japanische Künstler ausgestellt, die niemand kannte. Kein Wunder: Sie waren frei erfunden. Ziel sei es gewesen, die Mechanismen des Kunstbetriebs bloßzustellen, erinnert sich Horzon. Als seine Partner dann immer mehr in „echter“ Kunst machen wollten, suchte er das Weite – und wechselte ins Unternehmer- und Wissenschaftlerfach. „Künstler zu sein ist nicht so individuell oder kreativ wie zum Beispiel Bäcker oder Dachdecker“, erklärt er.

Provokant ist das vielleicht auch ein bisschen gemeint. Vor allem aber verdeutlicht es Rafael Horzons Art zu denken: Er dreht Ideen und Konzepte auf den Kopf und schaut, was übrig bleibt, wenn alles Überflüssige von ihnen abfällt. Ein Ansatz, der sich im schnörkellos-funktionalen Design seiner Regale zeigt, der aber genauso gilt, wenn diese Woche auf dem Designmai das „Spiritual Zentrum“ vorstellt wird.

Ausgehend von der Beobachtung, dass für die größten Konflikte auf der Welt regelmäßig religiöse Verblendung verantwortlich ist, überlegt Horzon mit diesem Projekt: Warum nicht alle Gottheiten und Liturgien durch ein gleißendes, auf MDF geschraubtes Neonröhrenquadrat ersetzen? Vereint im Licht der Aufklärung: Horzon, selbst „absoluter Atheist“, sieht das „Spiritual Zentrum“ nicht als Ersatzreligion, sondern als Vorschlag „zur Entspannung der Weltlage“.

Es ist diese Mischung aus Scharfsinn und Behauptungsgestus, Ideenreichtum und Pragmatismus, die Besuchern seiner „Wissenschaftsakademie“ bekannt vorkommen dürfte. Die unterhält Horzon seit fast neun Jahren, als erste Privathochschule Berlins, querfinanziert von seinem Regalgeschäft. Für die Studiengänge lädt er akademische Kapazitäten oder anderweitig Qualifizierte ein. Sie halten Vorträge über Memphis-Design, Pet-Shop-Boys-Videos oder, wie jüngst im Studiengang „Anthropologie“, Cargo-Kulturen im Südpazifik. Um einen Schein ausgestellt zu bekommen, reicht die bloße Anwesenheit.

Die Vorträge lassen die meist sehr zahlreich erscheinenden Zuhörer bisweilen ratlos zurück – nicht anders als an „echten“ Hochschulen. Hier setzt denn auch die Kritik des Studienabbrechers Horzon an: Wenn Diplome von staatlichen Universitäten später kaum etwas wert sind, sollte man sie viel unkomplizierter erwerben dürfen. „Elite Universität“ heißt seine Akademie trotzdem.

Konventionell verheiratet

Es ist eben wie immer bei ihm: „Ich habe anscheinend den zwanghaften Drang, alles andersrum zu machen“, sinniert er. Nur in einem Punkt, darauf legt Horzon Wert, ist er konventionell: Er ist verheiratet. Mit einer Frau.

In seiner Schublade liegen derweil noch Konzepte für eine Fassadenverschalungsfirma („Belfas“) und eine Partnertrennungsagentur („Separitas“). Auch sie lassen sich durchaus als Kommentare zu aktuellen öffentlichen Diskussionen lesen – sei es zum Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses oder zur Vereinsamung. Was die Frage aufwirft, warum Rafael Horzon nicht schon längst als Politiker antritt.

Er winkt ab. Vorerst zieht er es ohnehin lieber vor, auch als Kolumnist und Theaterautor aktiv zu werden: „Hubbard“, das Stück, das er gerade gemeinsam mit seinem Intimus Christian Kracht fertiggestellt hat, wird im September im Thalia Theater in Hamburg uraufgeführt. Es geht darin um den Sinn der Kunstproduktion nach 1912.

Horzon erklärt, das Stück sei unter starkem Einfluss von Lycopodium, einem homöopathischen Mittel gegen Libidoverlust, entstanden und von seiner und Krachts gemeinsamer Überzeugung inspiriert, dass Marcel Duchamp neben Bob Ross und Ron L. Hubbard der wichtigste Künstler der letzten hundert Jahre war. Während er das sagt, verzieht er keine Mine: „Um ganz vorn zu sein, muss man eben das genaue Gegenteil von dem machen, was alle anderen machen.“