„Schöne Helden sind wir“

„Zu sagen, das sind die Ausgebeuteten, schaut, wie furchtbar, das wäre zu einfach, das würde für mich nicht rechtfertigen, einen Film zu machen“: Michael Glawogger über die Ausdrucksmittel seines Dokumentarfilms „Workingman’s Death“

Interview DIETMAR KAMMERER

taz: Herr Glawogger, Ihr Film führt uns weltweit an Orte, an denen Menschen sehr harte körperliche Arbeit verrichten. Wie lange, wie aufwändig und wie schwierig war die Arbeit am Film selbst?

Michael Glawogger: Wir haben fünf Jahre an diesem Film gearbeitet, man darf sich allerdings nicht vorstellen, wir hätten in der Zeit nichts anderes getan. So etwas fängt langsam an, man findet sich in das Thema, sucht nach Orten und nach Bildern, dann beginnt man mit den Reisen. Auch während des Drehens lasse ich mich noch überraschen. Den Schlachthof in Nigeria hab ich erst mitten in den Dreharbeiten gefunden, eigentlich habe ich dort wegen Erdöl recherchiert. Aufwändig? Der Film ist relativ aufwändig für einen Dokumentarfilm, aber ich versuche, das Geld vor der Kamera zu halten. Wir arbeiten auf Zelluloid, weil ich das Aussehen, diese Wärme, dieses Gefühl eines richtigen Films gerade bei Dokumentarfilmen schön finde. Manche mögen das altmodisch finden. Und schwierig? Unterschiedlich. Man sieht es jedem Drehort an, dass jeder für das Team eine körperliche Herausforderung war, manchmal auch eine psychische.

Gab es Momente, an denen der Kameramann aussteigen wollte?

Nein. Als wir in die Mine hineingekrochen sind, hat er mich allerdings nach zwanzig Metern gefragt, ob ich durchgeknallt bin oder ob ich das ernst meine. Da habe ich ihm gesagt, dreh dich auf den Rücken, rauch eine Zigarette, gewöhn dich daran. Und dann haben wir angefangen. Wir haben an jedem Ort sehr lange Zeit verbracht. Auf den Schwefelberg sind wir drei Wochen jeden Tag hinauf, da schwinden schon die Berührungsängste. Die Arbeiter sagen dir auch, tu das, tu das nicht, turnt dort eher nicht herum, sonst kann das Ganze zusammenbrechen. Sie waren sehr hilfreich.

Was für eine Beziehung zwischen Team und Porträtierten hat sich in diesem langen Zusammensein entwickelt?

Wenn die Arbeiter gesehen haben, wie ernst wir am Film arbeiten, dann hat sich schon über dieses Verhältnis eine Nähe entwickelt. Wenn ich mit einem Bergarbeiter ein Interview mache und ich setze ihn in einen Sessel, dann ist das ganz was anderes, als wenn ich gemeinsam mit ihm in einem Loch stecke, das gerade einmal vierzig Zentimeter hoch ist. Da ist dann von vornherein eine große Nähe zueinander.

Sie verzichten im Film auf jeden Kommentar und lassen stattdessen die Arbeiter ihr Leben selbst beschreiben. Die betonen immer wieder, wie stolz sie auf das sind, was sie leisten. Das überrascht. Von niemandem kommt eine Klage über Bedingungen, die nichts anderes als unmenschlich genannt werden können. Ist das die Botschaft, die sie vermitteln wollten: Man kann auch unter menschenunwürdigen Umständen seinen Stolz bewahren?

Ich höre diese Frage oft, und ich muss mich darüber unglaublich wundern. Es ist so, als ob Teile des Publikums danach schreien, belehrt zu werden. Ich kann mich an eine Zeit des Kinos erinnern, als man genau das Gegenteil eingefordert hat. Als man gesagt hat, wir sind ja keine Deppen, zeig uns was Komplexes von der Welt, und wir werden schon damit umgehen können. Heute wird das tatsächlich explizit an mich herangetragen: Was meinst du jetzt eigentlich? Ist Ausbeutung böse? Ist Schwerarbeit schlimm? Der Film gibt ein Angebot, er zeigt Ausschnitte von der Welt, wie sie auch ist, wie sie noch an vielen Stellen aussieht. Zu sagen, das sind die Ausgebeuteten, schaut wie furchtbar, das wäre zu einfach, das würde für mich nicht rechtfertigen, einen Film zu machen. Da könnte man dann zu anderen Mitteln greifen, soziologische Essays verfassen oder Flugzettel verteilen. Ein Film entwirft ein komplexes Bild von der Welt, das sich fragt: Was für Leute sind diese Arbeiter? Wie stehen die in Zusammenhang mit ihrer Umwelt?

Kritiker werfen Ihnen vor, das Elend mit schönen Bildern zu ästhetisieren.

Ich kenne den Vorwurf, und ich stehe ein bisschen staunend davor. Ich sage ja wohl kaum, ich will etwas übertünchen, und deswegen mache ich diese und diese Bilder. Meine Bilder entstehen aus einem Bedürfnis, etwas konkret und genau darstellen zu wollen. Bei diesem Film wollte ich etwas erreichen, was der Arbeiterfilm fast nie unternommen hat: nämlich die Arbeit, den Arbeiter selbst verständlich zu machen. Dass man spürt, was es heißt, sich einen Korb von hundertzehn Kilo auf den Rücken zu spannen und woanders hinzutragen. Ich verwende den Arbeiter nicht, um meine politischen Ansichten kundzutun. Das ist genau der Unterschied. Ich könnte ja auch hingehen und von vornherein sagen, das und das will ich erzählen, und die passenden Bilder finde ich dann dafür. Statt dessen ist es mir wichtig, ein körperliches Verständnis von Arbeit ins Kino zu übertragen. Deswegen gehe ich dem Arbeiter mit dem Korb minutenlang hinterher und quäle mich, das genaueste Bild dafür zu finden. Das Zweite ist, Schönheit kann aus allem erwachsen. Auch schreckliche Dinge können schön sein.

Ich fand sehr schön, dass der Film zweierlei unternimmt: Er zeigt uns, in beinahe didaktischer Genauigkeit, ein klares Bild von spezifischen Arbeitsabläufen, und er zeigt uns die individuellen Menschen, die diese Arbeiten verrichten müssen. Die Arbeit bekommt ein Gesicht, wir sehen typische Minenarbeiter in der Ukraine, aber über die Gespräche, die sie führen, kommen sie uns auch als Individuen nahe.

Ich habe in jedem Teil eine Dualität gesucht, einen komplexen Blick auf die Sache, der mittendrin gebrochen wird. Die Indonesien-Sequenz zum Beispiel, die sieht lange so aus wie eine Reportage aus einem Geo-Heft, aber plötzlich macht der Film ganz was anderes: Die beiden setzen sich hin und reden über Nutten und über John Bon Jovi. Ein paar Schritte weiter, und sie stehen mitten in einem Touristenstrom. Wenn man genauer hinsieht, dann hat das jede Episode, das Archaische, Alte und das Moderne. Die Brüchigkeit dessen, wie man die Wirklichkeit wahrnimmt, finde ich das Spannendste an solch einer Art von Film. Wenn mir jemand einen Film vorsetzen würde, der mir etwas von ungerechten Arbeitsverhältnissen erzählt, dann gehe ich nach der Hälfte, weil es nicht das ist, was Film eigentlich ausmacht. Dazu ist Film für mich zu sehr eine Kunstform, eine komplexe Beschreibung der Welt.

In jeder Episode spielt auch Feuer eine Rolle, erst ein ganz kleines, als die Ukrainer die Ausrüstung eines Kollegen verbrennen, zum Schluss brennt in den chinesischen Hochöfen ein ebenso gewaltiges wie gebändigtes Feuer, während im Ruhrpott das Feuer als Lichtspiel nur noch der Unterhaltung dient.

Das ist uns auch aufgefallen, aber es war nicht geplant. Dieses Feuer ist immer wieder gekommen, wie von selbst. Das sind Stofflichkeiten, die ganz offensichtlich mit Schwerstarbeit zu tun haben. Das ist etwas, das sich durch die Realität ganz von selbst einstellt.

In Pakistan macht ein Fotograf Bilder von den Schweißern, die er ihnen anschließend verkauft. In Indonesien sind es filmende Touristen, die am Wegrand ausruhen, während die Arbeiter sich abmühen. Sind diese Szenen eine Art Selbstreflexion auf Ihre eigene Arbeit als Dokumentarfilmer?

Man kann das im weitesten Sinn so sehen. Aber ich hab ganz ungern, wenn Dokumentarfilmer sich einbringen, indem sie im Film Fragen stellen oder ins Bild gehen oder glauben, den filmischen Prozess sonst wie unbedingt ganz deutlich machen zu müssen. Ich finde es hingegen ein probates Mittel, etwa die heutigen ukrainischen Arbeiter vor die alten sozialistischen Heldenstatuen zu stellen, worüber sie dann selbst lachen müssen und sagen, schöne Helden sind wir geworden. Das ist dann ein inhaltlicher Kommentar, wie ich ihn gerne mache, weil er durch filmische Mittel und nicht durch Behauptungen zustande kommt.

In manchen Episoden hat man den Eindruck, nicht mehr auf diesem Planeten zu sein, eher in einer Art mittelalterlicher Höllenvision. Man schwankt zwischen zwei Reaktionen: Das muss ein böser Traum sein, und: Das also gibt es alles, auch heute noch.

Das will ich sagen: Die Welt ist ein berückend-schrecklich-schöner Ort, und der kann auch so ausschauen. Und wenn ich mir den Potsdamer Platz ansehe, kommt mir der genauso surreal vor wie der indonesische Schwefelberg. Wir bewegen uns nur die meiste Zeit in Gegenden dieser Welt, wo wir solche Orte nicht mehr sehen.

Bei der Uraufführung letztes Jahr in Venedig soll ein Teil des Publikums während der reichlich blutigen Schlachthof-Szenen den Saal verlassen haben.

Manche im Team waren der Ansicht, diese Episode ans Ende des Films zu legen, damit möglichst viel Publikum bis dahin sitzen bleibt. Das habe ich nicht gemacht. Es gibt durchaus Leute, die rausgehen, weil es ihnen zu grausig wird, aber wir haben auch beobachtet, dass diese Leute wieder kommen, wenn die Nigeria-Episode vorbei ist. Weil sie zuvor, in den ersten Episoden, ein Vertrauensverhältnis zum Film entwickeln konnten.

Der Tod, auch der Tod von Tieren, ist etwas, was wir uns nie so gerne genau anschauen.

Gerade dieses Kapitel sagt uns etwas darüber, wer wir sind. Wer von uns hat je zugesehen, wie eine Kuh stirbt? Dennoch essen wir sie täglich. Die Nigerianer haben ein ganz anderes Verhältnis dazu, die haben gar nicht verstanden, warum mich das interessiert. Was da so Besonderes dran ist. Das ist ein ganz normaler Marktplatz, wo man sehen kann, ob das lebende Tier gesund ist, dann kauft man es, dann wird es geschlachtet und man nimmt es mit nach Hause. Ein sehr einfacher, klarer Zugang. Meistens ist es ja gerade da am tollsten für Filme, wo sich etwas zeigt. Das war für mich der Zugang zu allen Orten – solche zu finden, an denen sich etwas zeigt. Wo ich nicht mehr viel dazu sagen muss.

„Workingman’s Death“, Regie: Michael Glawogger. Dokumentarfilm, Österreich/Deutschland 2005, 122 Min.