: Logik und Logistik des Kunstraubs
So bedauerlich es ist, wenn aus schnöden Motiven kostbare Kunstwerke gestohlen werden: Was wäre die Kunst ohne Kunstraub? Nur zum Beispiel: Wann wird in der taz schon mal zugunsten der Kunst eine fertig gebaute Seite versenkt? Doch nur, wenn es um einen so grandiosen Kunstraub geht wie jetzt in Paris. Okay, zugegeben, die anderen großen Kunstereignisse, die Biennalen und Blockbusterausstellungen, die eine Seite bekommen, sind schon lange angekündigt, da wird geplant, statt umgeworfen, da fehlt der Überraschungseffekt.
Nun ist nicht nur die Kunstausstellung, sondern auch der Kunstraub von langer Hand geplant, auch wenn er sich dann als Coup ereignet. Besonders dieses blitzschnelle Rein-raus-Spiel fasziniert; da geht es verdammt cool ab, stellt man sich vor, weil es ja meist doch einige Zeit dauert, bis jemand merkt, dass Kunst im Wert von einer halben Milliarde Euro fehlt. Die Logistik hinter einem solchen Unternehmen muss schon einigermaßen professionell organisiert sein, damit das so unbemerkt über die Bühne geht.
Doch ihr Diebstahl trägt nicht unwesentlich zur Aura der Kunst bei. Schon aus den genannten Gründen stellt der Kunstdiebstahl etwas Besonderes dar. Im Fall von Büchern oder Filmen mögen Raubkopien geschäftsschädigend sein, aber deshalb bringen sie die Sache selbst nicht zum Verschwinden, sondern vermehren sie im Gegenteil. Im Fall der Kunst vermehren sich nur die Spekulationen über den Raub und seine besonderen Umstände, und es vermehren sich die Kommentare über die Bedeutung des erfahrenen Verlusts.
Diese Bedeutung ist der springende Punkt. Denn es werden ja immer die großen Meister und die wertvollsten Kunstwerke gestohlen. Meint man. Aber vielleicht sind es am Ende doch nur die, die am leichtesten wegzuschaffen sind? Denn was bedeutet es schon, einen Matisse von der Wand zu nehmen, gegenüber dem Problem, wie man einen tonnenschweren Haifischtank von Damian Hirst aus dem Museum schafft? Der bei Sotheby’s oder Christie’s auch mal schon für ein paar Millionen wegging? Wie schafft man eine Installation des 2006 verstorbenen Künstlerstars Jason Rhodes beiseite, die sich auf 500 Quadratmetern breitmacht? Und lohnt es sich überhaupt? Wo man doch die Plastikkanister, Autoreifen und was er sonst noch verarbeitet hat, überallher kriegt?
Was bedeutet es, dass die zeitgenössische Kunst kein geeignetes Objekt mehr für den Kunstraub abgibt? Schmälert das womöglich ihren Wert? Bleibt Neo Rauch, nur weil er Bilder malt, die man klauen und deshalb – im traditionellen Sinne – als begehrt und wertvoll begreifen kann? Wetten, dass Damian Hirst schon deshalb auf seinen juwelengeschmückten Totenkopf kam, weil er weiß, dass er geklaut werden muss, um zu den ganz Großen der Kunst zu zählen?
BRIGITTE WERNEBURG