Überheblichkeit und Panik

WM 2014 Mexiko war 14-mal bei einer Weltmeisterschaft dabei und muss nach einer miesen Qualifikation, die drei Trainer den Job kostete, in die Playoffs gegen Neuseeland

VON FLORIAN HAUPT

Der 15. Oktober, das lässt sich ohne falsches Pathos behaupten, hat Mexiko verändert. Es war der Tag, an dem Gewissheiten starben und der Fußball des Landes zerrissen wurde zwischen Scham und Dankbarkeit. Der Tag, an dem die USA durch zwei späte Tore in Panama den parallel in Costa Rica geschlagenen Mexikanern den Einzug in die WM-Playoffs ermöglichten.

„USA, USA“, riefen Anhänger durch die Straßen von Mexiko-Stadt. Früher nach wichtigen Fußballsiegen zogen sie gern vor die amerikanische Botschaft – einfach so, als Statement: Ihr Gringos mögt uns im 19. Jahrhundert das halbe Staatsgebiet abgeknöpft haben und heute euren Reichtum mit meterhohen Zäunen vor uns abschotten. Aber im Fußball, da machen wir die Ansagen. Vorbei. „Youarewelcome Mexico“, twitterte der US-Fußballverband süffisant, derweil sich die Medien südlich der Grenze auf ihren Titelseiten vor den Yankees in den Staub warfen. Dass das Verhältnis beider Länder mittlerweile ziemlich entspannt ist, zeigte sich dabei in einer erfreulichen Dosis Humor. „Danke USA“, sagte Mario Delgado, Senator von Mexiko-Stadt: „Ihr dürft Texas und Kalifornien behalten.“

Die Indignation bewahrte sich Mexiko für die eigenen Leute auf. Selten war vor einer wichtigen Partie im Aztekenstadion so fraglich, wie die Masse reagieren wird. Heute geht es im Playoff-Hinspiel um die WM-Teilnahme gegen Neuseeland. Eine klare Angelegenheit – normalerweise. Schien nicht genauso klar, dass Costa Rica und Honduras keine Hindernisse sein würden für Mexiko? Jetzt sondieren die Zwerge aus der Nachbarschaft schon Quartiere in Brasilien. Und Mexiko zittert. „Ich sehe Verwundbarkeit, Nervosität und Zweifel“, frohlockt Neuseelands Trainer Ricki Herbert.

Wie es so weit kommen konnte, lässt sich wohl am ehesten mit einer Mischung aus anfänglicher Überheblichkeit und späterer Panik erklären. An Talentmangel kann es nicht liegen: Mexiko spielt seit Jahren eine hervorragende Rolle bei Junioren-Weltmeisterschaften – gerade erst wieder mit Silber bei der U17-WM – und gewann noch 2012 mit der erweiterten U23 Olympiagold im Finale gegen Brasilien. Danach sprachen Optimisten sogar von einer Titelchance 2014.

Nun war der Übungsleiter von London, Luis Fernando Tena, eines von drei Opfern einer historischen Drei-Trainer-Woche. Im September coachte zunächst José Manuel de la Torre eine Pleite in Honduras, vier Tage später Tena eine in den USA, woraufhin Víctor Manuel Vucetich einbestellt wurde, der dann einen Monat später nach dem Debakel in Costa Rica seinen Hut nehmen musste. Beauftragt mit der Schadensbegrenzung ist jetzt Miguel „El Piojo“ Herrera, ein Ligaveteran vom Meister América.

Hinter der Wahl Herreras wird der Fernsehriese Televisa vermutet. Dem TV-Multi gehören nicht nur América und weitere Spitzenklubs, sondern, so Kritiker, auch der gesamte mexikanische Fußball. Angesichts des großen Binnenmarkts ein prächtiges Geschäft, das der mit Seifenopfern groß gewordene Sender nur zu gut in Szene zu setzen weiß. So räsonierte der Chef der Schiedsrichterkommission, ein Angestellter von Televisa, Fehlentscheidungen seien im Interesse des Fernsehens zu begrüßen – wo die anschließende Polemik doch die Quoten steigert.

Da passt es ins Bild, dass sich der als harter Hund bekannte Herrera mit einer guten Portion Populismus einführt. Für das Playoff nominierte er keinen der in Europa tätigen Stars, denen Volk und Fernsehen ein besonders ausgeprägtes Charakterproblem attestieren. Stattdessen stehen in Herreras Kader nun zehn Spieler von América. Gelingt ihnen die Rettung der Nation, wird das den Quoten gewiss nicht schaden.