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Archiv-Artikel

Salon und Wahn

FREUNDSCHAFT! Bühne frei für Arnulf Baring: Gregor Gysi und das Berliner Ensemble assistieren bei der Präsentation der Autobiografie des reaktionären Publizisten und Talkshow-Lieblings

Dass ausgerechnet Gysi jemanden salonfähig macht, dessen Horizont an manchen Tagen nur von der Maas bis an die Memel reicht, muss verwundern

VON RALF HUTTER

Gregor Gysi nennt Arnulf Baring „nett und sympathisch“. Das ist bemerkenswert, denn Gysi ist nach wie vor Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag, und Baring ist nach wie vor der aggressivste Nationalmetaphysiker, den sich große deutsche Medien getrauen zu präsentieren.

Gysis Satz geht allerdings weiter: Baring sei auch „ein reaktionärer Knochen“. Das hält den Linke-Politiker aber nicht davon ab, kommenden Donnerstag Baring bei der Vorstellung von dessen Autobiografie zur Seite zu sitzen. „Er hat sich immer mit mir gestritten, aber offen, ohne Berührungsängste“, hält Gysi dem emeritierten Historiker zugute, den er schon lange kenne. Und: „Man kann gut mit ihm streiten.“ Von der Autobiografie erhoffe er sich neue Einsichten über seinen langjährigen Kontrahenten: „Meistens ist es so, dass sich Leute dort in einer Art und Weise erklären, dass man besser versteht, warum sie so geworden sind, wie sie sind. Ich bin ja neugierig.“

Baring, Jahrgang 1932, ist mit seiner direkten Art und seinem geschichtspolitischen Mut ein gern gesehener Gast bei politischen Fernsehdiskussionen – gern gesehen bei den Redaktionen, versteht sich, die ihre Sendungen aufpeppen wollen. Der reaktionäre Knochen kann seit Jahren auf so vielen Kanälen auftreten, „weil von den Originalen, den exzentrischen Personen verdammt wenige übrig geblieben sind“, wie ARD-Moderatorin Sandra Maischberger 2011 der Wochenzeitung Die Zeit sagte.

Deutsche Friedlichkeit

Den Ruf des Originals hat sich Baring verdient. Nur zwei der bedeutenderen Beispiele: 2006 debattierte der Hessische Landtag über ihn, nachdem er einen Vortrag bei der CDU-Fraktion gehalten hatte. Baring hatte einem Pressebericht zufolge gefordert, die Deutschen müssten „die eigene Würde und Selbstachtung wiederfinden“, wobei sie auf „langen Jahrhunderten deutscher Tüchtigkeit und deutscher Friedlichkeit“ aufbauen könnten. Die Nazi-Diktatur sei hingegen nur „eine beklagenswerte Entgleisung“ gewesen. Die Bevölkerung sei damals zwar antisemitisch gewesen, habe den Massenmord aber abgelehnt. Wo andere Menschen von Neonazis sprachen, sah Baring 2006 „Jugendverirrungen“ von Leuten, „die sich wichtig machen wollen. Das ist nicht politisch.“

Vergangenen August hatte Baring einen umjubelten Auftritt auf dem großen „Tag der Heimat“ des Bundes der Vertriebenen (BdV). Selbst der Autor der Zeitung Die Welt, der dem Vertriebenenverein gewisse Verdienste attestiert, war bestürzt über Barings Aussagen: „Dass die deutsche Gesellschaft den Verlust der deutschen Ostgebiete noch immer nicht als schweren Verlust für die ‚deutsche Seele‘, als ‚Verarmung‘ und ‚Schrumpfungsprozess‘ anerkennen könne, ist für ihn Ausdruck einer kollektiven ‚psychischen Schädigung‘. Viele meinten gar noch immer, wir Deutschen verdienten wegen des Nationalsozialismus gar keine Zukunft. Dabei habe sich Deutschland doch, sehe man von ‚den zwölf Jahren Hitler‘ einmal ab, über die Jahrhunderte hinweg als ‚besonders freundliches, kooperatives Volk‘ erwiesen. Dass die Deutschen gewusst hätten, dass die Nazis die Juden ermorden wollten, sei ‚eine Lüge‘, die zur ‚Geschichtsvergessenheit‘ der Deutschen beitrage. Die Weigerung der heutigen Deutschen, sich als ‚das vielleicht bedeutendste Volk Europas‘ zu betrachten, schlage sich auch darin nieder, dass man nur noch die dritte Strophe des Deutschlandliedes singe. Baring hält das für keinen normalen Dauerzustand und prophezeit, man werde sich irgendwann auch wieder zu der ersten Strophe bekennen.“

Diese Aussagen waren Gregor Gysi bisher unbekannt, gibt er im taz-Gespräch zu. „Der ist eine andere Generation, der hat das ganz anders erlebt“, kommentiert Gysi entschuldigend Barings immer noch anhaltende Trauer um die deutschen Ostgebiete. Der Sohn von NS-Gegnern fügt aber hinzu: „Bestimmte Grenzen halte ich ein: Mit Leuten wie Udo Voigt würde ich nicht sprechen.“ Der ehemalige NPD-Chef ist also tabu. Aber David Irving könnte doch interessant sein, oder? „Nein, da ist die Grenze überschritten. Baring hat ja noch nie den Holocaust geleugnet.“ Ist Baring also die Grenze? „Ja, weiter geht’s nicht. Aber bis Baring muss es gehen.“

Klar, Baring ist kein Faschist. Aber dass nun auch der vielleicht größte Sympathieträger der Partei Die Linke jemanden salonfähig macht, dessen Horizont an vielen Tagen nur von der Maas bis an die Memel reicht, muss verwundern. Nein, er ist kein Faschist. Aber eine Seele braucht nach gängiger Vorstellung einen Körper. Wenn Baring also von der leidenden „deutschen Seele“ spricht, ist der „Volkskörper“ der Faschisten nicht weit. Die Personifizierung der Nation (bildlich bevorzugt als Frau dargestellt) gab es schon vor dem Faschismus. Spätestens danach aber darf es für jemanden, der Geschichte lehrt, keine Entschuldigung geben: Die personifizierende Vereinheitlichung einer Bevölkerung zu einer Nation, die eine Seele und eventuell einen psychischen Schaden habe, leistet nicht nur dem „Volkskörper“-Denken (der Verlust der Ostgebiete als immer noch schmerzende Schrumpfung, sozusagen eine Amputation!) und den daraus folgenden Vorstellungen einer „Sozialhygiene“ Vorschub, sondern ist auch wahnhaft.

Barings über Jahre geäußerte Absolutionen für „das deutsche Volk“ und sein aggressiver Antikommunismus, den auch Gysi schon vor laufender Kamera abbekam, sind da nur folgerichtig. Umso bemerkenswerter der Ort der Buchvorstellung: das Berliner Ensemble, ein Theater, das weltweit bekannt ist – allerdings nicht für nationalistische Agitation. Die Anfrage von Barings Verlag habe nicht zu Bedenken geführt, sagt ein Sprecher. „Es sind ja zwei interessante Persönlichkeiten.“ Wer das BE in einer ungefähren politischen Richtung vermutet, etwa weil es immer noch seinem Mitgründer Bertolt Brecht verpflichtet ist oder weil es vor einigen Jahren mit dem Ex-RAF-Terroristen Christian Klar wegen eines Praktikums gleich nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis im Gespräch war, sieht sich getäuscht.

Heute ist im Berliner-Ensemble-Programm online zu lesen, dass Baring „den Meinungskonformismus politischer Korrektheit mit unbequemen Wahrheiten konfrontiert“, „für ein Ende der Redeverbote“ kämpfe und „das Bild einer beschädigten Nation entwirft, die bis heute um ihre Identität im Schatten des Dritten Reiches ringt“. Vielleicht ein Lapsus – dieser Quatsch, den wir zur Genüge von Neonazis und anderen Rassisten oder Verschwörungstheoretikern kennen, findet sich im Werbetext des Verlags, den das Berliner Ensemble ungekennzeichnet kopiert hat. Ein Verlag übrigens, der im Internet schon auf seiner Startseite zwei Neuerscheinungen eines altbekannten Genres bewirbt: Buchtitel irgendwas mit Deutschland, Einbandgestaltung Schwarz und Weiß mit ein bisschen Rot und Gelb. Eines dieser Werke will „Deutschland“ „mit den Schatten der Vergangenheit versöhnen“, „heilende Bewusstheit“ mobilisieren, um blockierte Energien zu lösen, weil „Deutschland“ mit der Macht, die das Land faktisch habe, aufgrund der Nazischuld nicht gut umgehen könne.

Die Nationalmetaphysik Barings und eines solchen Verlags würden eigentlich weder bei Gysi noch beim Berliner Ensemble Beachtung finden, geschweige denn sie zur Kooperation reizen. Es ist die Macht des Fernsehens, die das bewirkt hat: Das ist die erschreckende Lehre dieser Veranstaltung.

■ Gregor Gysi im Gespräch mit Arnulf Baring. 14. 11., 19.30 Uhr, BE-Foyer