Zurück in die Gegenwart

Es kommt ja bekanntlich nicht immer auf das Was an, sondern allzu oft eher auf das Wie. Oder exakter gesagt: Rückwärts blicken im Moment gerade ziemlich viele, wenn sie Musik machen. Entscheidend ist aber weniger, wohin geblickt wird, sondern wie die alten Zeiten in die Moderne übersetzt werden.

Auch für Vivian van der Spree hat Aktualität nicht eben allererste Priorität. In den Fotos, die von ihr kursieren, inszeniert sich die gebürtige Berlinerin als nettes Mädchen aus einer Nachbarschaft, die zwar eindeutig Berlin ist, aber ganz und gar nicht die pulsierende Metropole, die gerade junge Menschen aus der ganzen Welt anzieht. Auch in den Texten ihres Albums „Zurück in Berlin“ porträtiert sie eine vergleichsweise altertümliche Berliner Mischung aus dem „Leierkastenmann von nebenan“ und dem „Venezia-Eiscafe“.

Auch wenn van der Spree nicht ganz so demonstrativ die guten alten Zeiten wieder aufleben lässt wie die schon bekanntere Kollegin Marla Blumenblatt, knistert mancher Song doch wie eine alte Schellackplatte, klimpert das Klavier jazzkellerkompatibel oder schmachtet ein Saxofon verliebt. Wenn es flotter wird, entdeckt van der Spree den Funk, aber nur um schnell wieder zum Swing zurückzukehren und schlussendlich beim Schlager zu landen.

Sicher, das Berlin, das sich mit „Zurück in Berlin“ vertont sieht, existiert noch in den von den Touristenströmen verschonten Außenbezirken, in Frohnau oder Marienfelde, wo die Gentrifizierung bislang bloß zu ahnen ist. Aber es existiert. So gesehen ist Vivian van der Spree dann doch irgendwie aktuell.

Sven Ratzke dagegen setzt mit „Songs In A Cabaret“ ein Berlin in Szene, das vor genau 80 Jahren mit der Machtübernahme der NSDAP verschwunden war, aber seit einigen Jahren eine Renaissance erlebt: die wilden zwanziger Jahre, den Tanz am Rande des Abgrunds, die sexuelle Uneindeutigkeit. Egal ob Ratzke alte Lieder von Friedrich Hollaender oder Zarah Leanders „Der Wind hat mir ein Lied erzählt“ von 1937 interpretiert, ob er Moderneres von Peer Raben und Hilde Knef oder eigens für ihn komponierte Stücke singt: Er zwingt alles mit großer Selbstverständlichkeit und ungebrochenem Pathos zurück in die Roaring Twenties – und damit dann doch wieder ins Hier und Jetzt. Ein gelungener Zirkelschluss. THOMAS WINKLER

■ Vivian van der Spree: „Zurück in Berlin“ (Snowhite Records), Record Release Konzert am 17. 11. im Aufsturz

■ Sven Ratzke: „Songs In A Cabaret“ (Buzz/New Arts International), live am 18. 11. in der Bar jeder Vernunft