„Momente, wo es mal kurz im Leben ruckelt“

Gastprofessor Christoph Schlingensief hält seine „Antrittsvorlesung“ an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig. Dabei zeigt der große Dekonstruktor alte Videos, falsche Kunststars und Hakenkreuz-Schnuller und bruzzelt einen Römertopf im Ofen

„Ich will den jungen Studenten keine Angst machen. Aber ihr habt noch eine Sache vor euch. Und das ist der Tod“

Da ist nicht mehr viel vom schrecklichen Kind. Christoph Schlingensief ist 45 Jahre alt, hat ziemlich viel erreicht – wer war noch mal dieser Castorf, wer dieser Marthaler? – und nimmt sich deshalb an diesem lauschigen Abend vor all den Möchtegern--Enfant terribles in der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig (HBK) auch mal die Zeit, einfach ein paar Sekunden lang zu schweigen.

Im Ofen bruzzelt der Römertopf mit knoblauch-gespicktem Geflügel und Karotten drumrum, die Aula ist so proppenvoll, dass die Leute auch noch davor und im HBK-Hof das Spektakel auf Bildschirmen verfolgen. Der schlingensiefsche Dekonstruktor hält seine „Antrittsvorlesung“ als Gastprofessor, eine große Christoph-Frühlingsshow mit Bier und Würstchen – und einigen Lernelementen für die Studierenden, mit denen er bereits seit Oktober arbeitet. Titel der Talkshow-Performance mit Kerstin Grassmann, Klaus Beyer und Horst Gelloneck: „der rest ist bewältigung“.

Der Kettensägenmassaker-Erfinder und „Parsifal“-Inszenierer sagt, es werde an diesem Abend „nicht alles auf Humor rauslaufen“, denn er wolle „auch hier Vater sein, meine Probleme an euch abgeben“. Und dann das, worauf es ihm ankommt, trotz totaler Fragmentierung: Nicht darauf, dass man als Künstler „die Freiheit hat, auch mal Kacke zu rufen“. Es geht dem Oberhausener Apotheker-Sohn um „die Momente, wo es mal kurz im Leben ruckelt“.

Ein kleines bisschen Schlingensief-Revue. Er zeigt einen Frühfilm aus dem Jahr 1982, wo der noch ziemlich Unbekannte auf einer Trompete die Nationalhymne dilettiert. Die Fotos von den Affen, die das Hitlerbild von der Wand nehmen. Aber auch die selbst für Schlingensief „großen Ereignisse“, wie die Container-Sache im Juni 2000, bei der die Wiener jeden Tag „den Asylbewerber, den sie am meisten hassen, aus Österreich“ herauswählen konnten. Da schäumten Antifas wie Nationale, Schlingensief nennt die Aktion heute „eine große Lust in mir“.

Weil Schlingensief eine große Affinität zu den ganz Verrückten, also den wirklich wichtigen Künstlern hat, hat er einfach Jonathan Meese zum Sofa-Gespräch in die HBK eingeladen. Der Kunstbetriebs-Jungstar, der gerade groß in Hamburg ausstellt, hat mit dem ganzen Hype „endlich die Schulden abgebaut“ – und ist natürlich nur ein Double mit echt schlechter Perücke.

„Ich will den jungen Studenten keine Angst machen“, sagt Schlingensief. „Aber ihr habt noch eine Sache vor euch. Und das ist der Tod.“ Viel dreht sich um Geburt, um Verwesung, so auch beim toten Hasen, der unter Parsifal-Klängen langsam in Island-Bildern verschwindet. Da ist es wieder, Schlingensiefs Uralt-Thema: Wagner. Auf einer krickeligen Zeichnung hat er Bayreuth-Zimmer und Klingsor-Raum eingemalt, mit Leni Riefenstahl samt Hakenkreuz-Schnuller, Andy Warhols Suppendosen und dem einstigen Stuka-Flieger Joseph Beuys.

Insgesamt immerhin zwei Jahre wird Schlingensief in Braunschweig im Bereich „Kunst in Aktion“ gastprofessieren. Er wird nicht oft an der Oker sein, das wäre „viel zu weit, viel zu teuer“, sagt Schlingensief, der einige Studis bereits nach Wien eingeladen hat.

Aber egal – sie dürften noch viel Spaß mit ihm haben. Denn: „Wenn Sie alles unter Kontrolle haben, fahren Sie noch nicht schnell genug.“ Kai Schöneberg