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Archiv-Artikel

Auf der Überholspur

Mit empfindlichen Bußgeldern statt nur mit Pünktchen in Flensburg will Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) den Verkehr in Deutschland „noch sicherer“ machen. Ob das was bringt?

A 24 Berlin Richtung Hamburg, Der Musiktherapeut Jonas Riebesam (26) überholt mit seinem Renault Twingo (55 PS) einen Lkw-Konvoi. Im Windschatten schleicht er sich an, um schließlich in Zeitlupe vorbeizugehen.

„Jetzt hängt mir dieses Arschloch natürlich im Kofferraum. BMW-Testfahrer oder was? Die werden es nie lernen und der Tiefensee hat völlig Recht: Bußgelder verdoppeln, bis die Kreditkarte blutet!

Marianne Held (40), PR-Managerin, ist unterwegs in ihr Büro an der Alster. Bis jetzt ist sie ganz gut durchgekommen mit ihrem 5er-BMW (500 PS), hat den Tempomat auf 180 km/h eingestellt und es einfach rollen lassen, während sie nebenbei ihre Sekretärin angerufen hat. Dort brennt die Hütte! „Ooops! Was ist denn das? Sorry, Jacqueline, ich ruf’ dich gleich zurück, hier wird’s eng (legt auf, bremst scharf ab). Na prima, jetzt hänge ich diesem Arschloch natürlich im Kofferraum. Hallo? Haaaallo? Ist der eingeschlafen oder was? Nicht zu fassen! Na warte …“

Per Lichtzeichen versucht Marianne Held dem Penner im Renault vor ihr deutlich zu machen, dass sie es recht eilig hat, was nur teilweise gelingt:

„Ja, klar, und jetzt noch Xenon-unterstützte Lichthupe und Blinker. Da hat’s wohl jemand recht eilig, was? Sprechen kann man ja schlecht miteinander, also soll er ruhig fühlen.“

Marianne Held fühlt: Frust, zumal ausgerechnet jetzt von der Rückbank Gequengel einsetzt – ihre Tochter Sarah (2) ist aufgewacht. Frau Held tastet nach ihrer Handtasche:

„Wo … wo sind denn jetzt wieder diese Scheißtabletten? Wenn ich etwas hasse, dann sind es diese stoischen Richtgeschwindigkeitsfahrer, die stur bei 130 bleiben, obwohl es hier keine Tempobeschränkung gibt. Alles kleine Blockwarte auf vier Rädern – schade, dass dieses Rumbummeln nicht mal bestraft wird. Aber wenn man’s eilig hat und das Bruttosozialprodukt steigert, wird man zur Kasse gebeten.“

Jonas Riebesam hatte einen heftigen Adrenalinausstoß, sein rechtes Bein zittert, Schweiß steht auf der Stirn:

„Der ADAC ist natürlich gegen höhere Bußgelder, oberschlau vernünftig daherkommend: Erst mal den bereits überarbeiteten Strafkatalog umsetzten, man kennt das ja von der FDP: Es gibt genug Gesetzte, man muss sie nur anwenden. Übertroffen wird das nur noch, ausgerechnet, von der Gewerkschaft der Polizei …“

Marianne Held bleibt dicht hinter dem Renault und späht gleichzeitig nervös in den Rückspiegel, wo ein weiterer Wagen (mit auffällig unauffälliger Lackierung) aufgetaucht ist:

„Fahren die Zivilbullen in Niedersachsen nur VW oder auch mal Mercedes …?“

Jonas Riebesam hängt weiter seinen Gedanken nach:

„Es wären ja ohnehin nicht genug Polizisten vorhanden, um ausreichend zu kontrollieren. Dann kann man es ja gleich sein lassen, kann ja jeder machen, was er will. Dann mache ich jetzt eben eine Vollbremsung, und schaue mal, was passiert.“

Herr Riebesam steigt einfach in die Eisen. Keine Sekunde zu spät bremst auch Frau Held, Adrenalin und ABS pur. Dann, hinter ihr: die Kelle. „Hab’s doch geahnt! Schöne Scheiße.“

Jonas Riebesam sieht, wie der BMW von einem Mercedes rausgewunken wird. Er wischt sich den Schweiß von der Stirn: „Uff, noch mal davongekommen. Wenn ich das meinem Vater erzähle, kauft er mir vielleicht ein stärkeres Auto, zur Sicherheit.“

Der BMW parkt jetzt auf der Standspur, Marianne Held lässt die elektrische Scheibe runtersummen und schenkt dem Verkehrspolizisten ihr patentiertes PR-Lächeln: „Ich? Gedrängelt? Oje, Herr Wachtmeister, wie viel Punkte gibt das denn in Flens-… wie? 2.500 Euro? Da bin ich aber erleichtert! Kann ich auch sofort und in bar zahlen?“ MRE, FRA