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Archiv-Artikel

Wal-loser Tod durch Ertrinken

Die einzige heimische Walart, der Schweinswal, ist vom Aussterben bedroht. Häufigste Todesursache sind Fischernetze. In der Ostsee leben höchstens noch 2.600 von Flippers kleinen Vettern, schätzen Meeresschützer. In der Nordsee ist der Bestand stabil

Von Sven-Michael Veit

Von Entwarnung kann keine Rede sein, sagt Petra Deimer: „Der Schweinswal in der Ostsee ist akut vom Aussterben bedroht.“ Bestenfalls 2.600 der delphinähnlichen Kleinwale leben noch in dem Binnenmeer, schlechtestenfalls sind es weniger als 1.000. Das ergab die jährlich durchgeführte Hochrechnung der Gesellschaft zum Schutz der Meeressäugetiere e. V. (GSM), deren Ergebnisse die Vereinsvorsitzende Deimer gestern in Kiel bekannt gab.

Die bis zu 1,80 Meter langen und 60 Kilo schweren Schweinswale sind die einzigen in Ost- und Nordsee heimischen Wale. Bedroht ist ihr Bestand seit langem vor allem durch die industrialisierte Fischerei. Zu Tausenden ertrinken sie Jahr für Jahr in den bis zu 10.000 Kilometer langen Stellnetzen auf dem Meeresgrund. „Noch immer sterben jedes Jahr mehr Tiere als geboren werden“, sagt Deimer: „Das kann kein Bestand verkraften.“

„Stabilisiert“ hat sich hingegen die Zahl der auch Kleine Tümmler genannten Zahnwale in der Nordsee, weiß Thomas Borchardt vom Nationalparkamt für das Schleswig-Holsteinische Wattenmeer in Tönning zu berichten. Etwa 37.000 Schweinswale würden im Frühling und Sommer in Küstennähe leben. Größere Populationen gebe es vor den ostfriesischen Inseln und vor allem vor Sylt und Amrum in Nordfriesland. Dort, in der Kinderstube der Schweinswale, wurde vor sechs Jahren ein rund 1.400 Quadratkilometer großes Walschutzgebiet eingerichtet – das erste überhaupt in Europa.

Zurzeit sei der kleinste aller Wale „nicht mehr akut bedroht“, resümiert Borchardt, der den gesamten Bestand in der Nordsee vom Ärmelkanal bis nach Norwegen „mit etwa 270.000“ beziffert. Diese Schätzung stammt aus einem Monitoring-Programm, das Wissenschaftler der Anrainerstaaten regelmäßig von Flugzeugen aus durchführen. Allerdings müsse die Entwicklung „über Jahre“ beobachtet werden, „bevor wir wirklich verlässliche Daten“ haben.

Seit einem Jahr müssen die Grundstellnetze in der Nordsee mit so genannten Pingern ausgerüstet werden. Diese kleinen Geräte warnen die Meeressäuger mit Schallwellen vor den engmaschigen Nylonnetzen, welche die Wale mit ihrem Sonar nicht orten können. Welchen Erfolg diese Schutzmaßnahme hat, will Borchardt nicht beurteilen: „Wer kontrolliert denn schon, ob die Fischer wirklich Pinger anbringen und ob diese gewartet und repariert werden?“

Die GSM fordert generell eine „Beschränkung der aggressiven Befischung“ der Ostsee. Schon der Ersatz von Treib- und Stellnetzen durch Langleinen und Reusen könne helfen, sagt Deimer, „den sinnlosen und tödlichen Beifang der Schweinswale“ zu mindern. Aus Reusen könnten sie aus eigener Kraft entkommen oder lebendig gerettet werden.

Unerlässlich sind Reservate ohne Motorboote und konventionelle Fischerei auch nach Ansicht von Stefan Bräger, Biologe im Deutschen Meeresmuseum Stralsund. „Einzelne Schutzgebiete allein reichen aber nicht aus, weil diese Art in der Ostsee wandert.“ Im östlichen Teil des baltischen Meeres leben nur noch 100 bis 600 Schweinswale, in der westlichen Ostsee 800 bis 2.000. Diese Hochrechnungen basieren auf Meldungen von Seglern, mit denen GSM und Meeresmuseum seit fünf Jahren kooperieren (siehe Kasten).

859 Sichtungsmeldungen gingen in der vorigen Saison ein, der weitaus größte Teil aus dem Gebiet zwischen Fehmarn und den dänischen Inseln. Auf dieser Grundlage werden die Bestandszahlen hochgerechnet. „Nicht sehr exakt“, wie Deimer einräumt, „aber genauere Daten gibt es nicht“.

Das liegt auch daran, dass Schweinswale sehr scheu und zumeist unsichtbar unter Wasser sind. Anders als die verspielteren Großen Tümmler eignen sich Flippers kleine Vettern daher auch nicht zum Whale Watching für Touristen. Auch ein Grund, warum sie inzwischen zu den der Allgemeinheit unbekanntesten Meeressäugern gehören. Anfang des vorigen Jahrhunderts dagegen waren sie in den Unterläufen von Weser, Elbe oder Trave fast alltäglich anzutreffen.

Heute werden die seltenen Sichtungen von den Agenturen vermeldet: Im April 2004 schwammen zwei Schweinswale vor Bremerhaven und einer in der Emsmündung, im vorigen Jahr wurden zwei in der Elbe vor Hamburg gefunden. Tot.