: Ein Tod in Neukölln
TRAUERFALL Für die Behörden ist der Fall Jusef abgeschlossen, die Menschen in der Sonnensiedlung in Neukölln aber treibt der Tod des Jungen weiter um. Und es bleiben dringliche Fragen
VON ALKE WIERTH
Ein Jugendlicher wird getötet in Neukölln, 18 Jahre alt, ausgebildeter Streitschlichter. Er hatte sich auf Bitten von Freunden in einen Streit eingemischt, der beim Fußballspielen entstanden war.
Der Täter: ein erwachsener Mann, 35 Jahre alt, vorbestraft wegen Gewaltdelikten. Er war nach dem Streit eigentlich in Sicherheit, in einem Haus. Davor hatten sich die von der anderen Streitpartei versammelt, Jugendliche, junge Erwachsene, wütend. Statt die Polizei zu rufen, kam der Mann heraus – bewaffnet mit dem Messer, mit dem er den Jungen dann tötete.
Bestraft wird er dafür nicht. Er habe in Notwehr gehandelt, befindet die Staatsanwaltschaft nach Aktenlage. Ein Gerichtsverfahren wird gar nicht erst eröffnet.
Notwehr – das heißt: Der, der tötete, habe nicht anders handeln können, um sein Leben zu retten. Er ist das eigentliche Opfer – der Tote ist Angreifer, Täter.
Der junge Mann, der tot ist, hieß Jusef. Er war Deutscher arabischer Herkunft. Der Mann, der ihn tötete, ist Deutscher ohne Migrantenmerkmal. Hat das eine Rolle gespielt bei der Entscheidung der Staatsanwälte? Wäre sie anders gefallen, wäre es andersherum gewesen?
In der Sonnensiedlung, wo Jusef lebte, stellt so direkt niemand diese Frage. Araber, gefährlich, kriminell, Täter – das Klischee ist hier zu sehr Alltag. Jusefs Mutter hat immer dagegen gekämpft. Langsam kommt ihr das allerdings ziemlich sinnlos vor.
„Gefangen im Klischee“ SEITE 44, 45