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Archiv-Artikel

„Romantisiertes Retro-TV“

Zum Start des Fernsehfestivals Cologne Conference: Direktorin Martina Winter über die deutsche Nabelschau durch Event-TV, mangelnden Mut der Produzenten und das Comeback der Fiction

INTERVIEW STEFFEN GRIMBERG

taz: Frau Richter, auch 2006 haben britische Produktionen ein klares Übergewicht bei der Cologne Conference, dazu gibt es Fernsehen aus ganz Europa, von Skandinavien bis zum Balkan, natürlich auch aus den USA. Nur Deutschland fehlt ganz. Dabei heißt es doch immer, wir hätten das beste Fernsehen der Welt.

Martina Richter: Zum einen liegt es schlicht am Termin: Viele interessante deutsche Produktionen, die ab Herbst im TV laufen, sind einfach noch nicht fertig. Außerdem wird in Deutschland aktuell stark auf Event-TV wie „Dresden“ oder „Sturmflut“ oder „Luftbrücke“ gesetzt. Da verausgaben sich sowohl Sender wie Produzenten. Und so finden sich jenseits davon seltener fiktionale Produktionen, die in hoher Qualität ungewöhnliche Geschichten erzählen. Mit „Nicht alle waren Mörder“ und „Neger, Neger, Schornsteinfeger“ zeigen wir aber in Ausschnitten zwei dieser herausragenden Programme als Avant-Premieren.

Auffallend ist auch in diesem Jahr die Zahl der Polit-Thriller: „Gideon’s Daughter“ von der BBC erzählt die Geschichte eines Londoner PR-Gurus in Zeiten von New Labour. „Medea“, die letzte Regiearbeit von Theo van Gogh, zeigt die Abgründe niederländischer Politik. Warum gibt es dieses Genre in Deutschland fast gar nicht?

In Deutschland wird jetzt eher Zeitgeschichte aufgearbeitet: Vergangenes, Katastrophen – und das als romantisiertes Retro-Ereignis mit passender Liebesgeschichte.

Stoffe, die früher eher für die Dokumentation reserviert waren, drängen in den Fiction-Bereich – ist das ein internationaler Trend?

Nicht unbedingt. Aber die Fiction ist international wieder stärker geworden. In den letzten Jahren hatten oft Dokumentationen die interessanteren Themen, die kreativeren Erzählweisen. Jetzt sind die Dokus eher stromlinienförmig geworden. Und dafür gibt es wieder mehr erneuernde, aufregende Fiction-Formate.

Die Niederlande sind 2006 beim Festival sehr stark vertreten. Was haben unsere Nachbarn, was die deutschen Produktionen nicht haben?

Ich denke, dass es dort einfach eine größere Freiheit von Seiten der Sender gibt. Hierzulande ist ja die Bereitschaft im Moment relativ gering, sich Neuem zu nähern – sei es ästhetisch oder inhaltlich. Die Produzenten kommen mit originären und originellen Stoffen nicht richtig durch – sofern sie die überhaupt noch entwickeln.

Wäre überhaupt etwas von den Filmen der Cologne Conference 2006 bei einem deutschen Sender denkbar?

Eher nicht. Vielleicht gerade noch im Comedy-Bereich. Nehmen Sie das Genre Krimi: Da gibt es in vielen Ländern die neue Figur des einsamen Ermittlers. Bei uns treten die Kommissare dagegen immer noch mindestens im Doppelpack an. Das ist vor Jahren mal aus den USA über uns gekommen. Und da arbeitet sich das deutsche Fernsehen immer noch dran ab.

Nun gibt es dieses Jahr plötzlich zwei TV-Festivals in Köln (siehe Kasten). Wenn Sie mal in einem Satz den Unterschied klar machen würden?

Das andere nennt sich „Großes Fernsehen“ und zeigt fast ausschließlich Programme, die in den letzten Monaten schon im deutschen Fernsehen gelaufen sind – der Begriff „Festival“ ist da sehr hoch gegriffen.