: Italiens linker Hoffnungsträger in Erklärungsnot
ITALIEN Der linke Präsident Apuliens, Nichi Vendola, steht dumm da: Ein kumpelhaftes Telefonat von ihm mit dem umweltverschmutzenden Konzern Ilva wurde 2010 abgehört und steht jetzt im Internet
NICHI VENDOLA ÜBER DIE RÜDE ART DES ILVA-MANAGERS, EINEM JOURNALISTEN DAS WORT ABZUSCHNEIDEN
ROM taz | „Das war ein wunderbarer, katzengleicher Sprung, einfach fantastisch!“ Am Telefon kann Nichi Vendola, Präsident der Region Apulien, nicht an sich halten, er muss sein Kompliment an den Ilva-Manager Girolamo Archinà loswerden. Allzu amüsant war die Szene, die der linke Hoffnungsträger Vendola auf Youtube gesehen hatte: Auf einer Pressekonferenz entreißt Archinà einfach einem kritischen Journalisten das Mikrofon, als der Mann Fragen zur Häufung von Tumorfällen rund um das Ilva-Stahlwerk in Tarent stellen will. Doch statt sich über das Abwürgen unbequemer Fragen zu beschweren, gluckst Vendola ins Telefon: „Eine Viertelstunde lang haben wir gelacht!“
In Italien steht der Ilva-Konzern für den größten Umweltskandal der letzten Jahre. Mit einem weit überhöhten Ausstoß von Dioxin, Feinstäuben, Benzo(a)piren und allerlei anderen Giften verseuchte das Ilva-Werk – mit 11.000 Beschäftigten das größte Italiens – systematisch die Stadt Tarent; mittlerweile sitzen drei Mitglieder der Eigentümerfamilie Riva und diverse Manager wegen Umweltverbrechen in Untersuchungshaft.
Wie brisant die Situation war, zeichnete sich schon vor drei Jahren ab, als Vendola sein überaus freundschaftliches Telefongespräch mit Archinà hatte – ein Gespräch, das jetzt im O-Ton auf die Website der italienischen Tageszeitung Il Fatto Quotidiano gestellt wurde. Vor allem die Umweltbehörde der Region Apulien machte Druck, veröffentlichte Gutachten, aus denen die dramatische Überschreitung der Grenzwerte für Schadstoffe durch Ilva deutlich wurde.
Doch Ilva hielt dagegen; ihr Mann fürs Grobe war Girolamo Archinà, „Beauftragter für institutionelle Beziehungen“, der die Kontakte in die Politik, zu den Medien und den Gewerkschaften pflegte – und der jetzt auch in Hausarrest sitzt; unter anderem soll er einen Gutachter in einem Gerichtsverfahren gegen Ilva bestochen haben. Archinà nahm in der Regel kein Blatt vor den Mund, äußerte zum Beispiel, der Chef der Umweltbehörde müsse „vernichtet werden“.
Zu Vendola dagegen hatte Archinà einen weit freundlicheren Kontakt – einen Kontakt, der den Präsidenten Apuliens jetzt in Erklärungsnöte bringen kann. Schließlich ist Vendola zugleich Chef der stramm linken Partei Sinistra Ecologia Libertà (SEL – „Linke, Ökologie, Freiheit“). Im Jahr 2010 war es Vendola, der aus eigener Initiative Archinà anrief, um dem zu seinem ruppigen Auftritt auf der Pressekonferenz zu gratulieren; schließlich hatte der dumm und kritisch fragende Journalist, so Vendola, „das Gesicht eines Provokateurs“.
Nichi Vendola dagegen lässt dem Ilva-Boss Emilio Riva ausrichten, „dass der Präsident (sprich Vendola selbst, die Red.) sich keineswegs abgewandt hat,“ schließlich „ist Ilva eine produktive Realität, auf die wir nicht verzichten können“.
MICHAEL BRAUN