: Die Freiheit des Schauspielers
KNAST Sechs jugendliche Straffällige spielen Theater. In „Zeitmaschine“ berichten sie von ihren Träumen
ALEXANDER HAUER, REGISSEUR
Das Schönste daran ist: dass man wieder rauskommt. So kurz der Aufenthalt in der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Oslebshausen für die Theaterbesucher am Freitag ist – er wirkt beklemmend.
80 ZuschauerInnen betreten das Gelände durch eine Schleuse. Entlang an einem hohen Zaun geht es, dahinter eine Mauer, beide mit Stacheldraht gekrönt, über den Innenhof, die Treppen hinauf durch einen Zellentrakt, wie man ihn aus alten Filmen kennt, vorbei an stämmigen Herren in Uniform, bis wir in die kleine Kapelle kommen, in der „Zeitmaschine“ aufgeführt wird. Rund 12 Wochen haben sechs jugendliche Straffällige mit den Regisseuren Alexander Hauer und Felix Reisel an dem gut dreißigminütigen Stück gearbeitet, das nur einmal aufgeführt wird.
Hauer und Reisel stellen seit drei Jahren in Zusammenarbeit mit der JVA und den Jungen Akteuren am Theater Bremen jedes Jahr eine Theaterproduktion auf die Beine. Das ist harte Arbeit. „Aber es lohnt sich“, sagt Hauer. „Wenn man die jungen Menschen ernst nimmt und ihnen Respekt entgegenbringt, entwickeln sie eine unbändige Energie. Und sie haben etwas zu erzählen.“ Zwei der Teilnehmer des diesjährigen Projekts sind schon entlassen, bevor es zur Aufführung von „Zeitmaschine“ kam, einer am Morgen des Premierentags. Sie sind trotzdem Teil der Inszenierung: In einem Video spielen sie einen Wissenschaftler und einen Zeitreisenden. Sie haben schon erreicht, wovon ihre vier Mitspieler träumen: Freiheit. Die vier verbliebenen jungen Männer zwischen 19 und 23 erzählen und rappen davon, wie ihr perfekter Tag aussähe: morgens, nicht zu früh, aufstehen, an den Strand gehen, mit Freunden abhängen, keine Sorgen, kein Stress. Im Knast ist dieser Tag weit weg, der Weg führt fürs erste nur durch die Zeit und so reisen sie mal in die Vergangenheit, mal in die Zukunft. Einer reist zu dem Tag, an dem er entlassen wird. Sein Leben will er in den Griff bekommen, zur Schule gehen, „Gas geben“.
„Zeitmaschine“ erzählt aber auch von anderen Dingen: von Selbstkritik, von größeren Fragen: Nach einer satirisch überzogenen Gerichtsszene, in der die Höhe der Haftstrafe zwischen Staatsanwalt und Verteidiger ausgewürfelt wird, wird das Publikum aufgefordert, 90 Sekunden über Gerechtigkeit zu diskutieren, danach gibt es 60 Sekunden für das Thema Todesstrafe.
Am Ende wirft „Perfect Day“ von Lou Reed ein melancholisches Licht auf die Szenerie – und die abschließende Frage, ob es einen „Reset“, einen Neustart auch für Menschen gibt wie bei Computern. Hauer erzählt am Tag danach, einer seiner Schauspieler habe sich beim Theaterspielen frei gefühlt. „Das ist das Schönste, was man zu hören bekommen kann.“ ASL